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Mit Seglersignal gegen Panzertruppe

■ Ottersberger wehrte sich gegen nächtliche Manöver vor seinem Wohnhaus / Amtsgericht stellte wg. Geringfügigkeit ein

Mit der Landesverteidigung an und für sich ist das eine ganz schön schwierige Sache. Davon kann der Kompaniechef der Panzerbrigade 9, Thorsten Krüger, seit dem vergangenen September einen Marsch blasen. Da mußte er mit seiner kampfbereiten Truppe die kleine Stadt Ottersberg vor gegnerischen Aggressoren schützen, die sich in einem Wäldchen bei Otterstedt versteckt halten sollten. Das Herbstmanöver nannte sich zwar „Offenes Visier“, aber gar so offen sollten Krügers 13 Panzer sich dem Feind nun doch nicht zeigen. Da aber lediglich morastige Wiesen und Moore, jedoch keine zum militärischen Versteckspiel geeignete Geländeform zu finden waren, verkrochen sich die Ottersberg -Verteidiger kurzerhand in schmalen Wohngassen. Und da, mitten in finsterer, regnerischer Nacht, stand ein Mann mit Bart und langen Haaren auf der Straße, „der sah aus wie Rasputin“, erinnerte sich gestern vor dem Schöffengericht in Achim der Zeuge, Hauptfeldwebel Lothar Brill.

Der Ottersberger „Rasputin“, mit bürgerlichem Namen Michael Kupfermann und Lehrer an der walldorfnahen Freien Kunststudienstätte, fand das gar nicht so komisch, was da mitten in der Nacht zum Sonntag vor seinem Schlafzimmerfenster herumdonnerte und machte sich seinerseits

auf, die Nachtruhe gegen die Invasoren zu verdeidigen. Die Wahl seiner Methode fand die Staatsanwaltschaft so daneben, daß sie den Lehrer wegen unerlaubten Waffenbesitzes, Beleidigung und versuchter Körperverletzung vor Gericht zitierte.

Am Grellenbrook heißt die kleine, etwa vier Meter breite Sackgasse, durch die kurz nach Mitternacht zwei Panzer knatterten. „Als wenn man einen Kriegsfilm in Ottersberg dreht“, dachte Kupfermann. Seine zwei kleinen Kinder fingen an zu brüllen, das Haus bebte und Kupfermann rannte auf die Straße, um die Soldaten zur Rede zu stellen. Doch die, so empfand er die Situation, ignorierten ihn schlicht. Da erinnerte sich Kupfermann an seine Zeit als Regattasegler, holte Schreckschußpistole und Signalgeber aus dem Haus und, so seine Darstellung, schoss zweimal in die Luft. Reaktion: Null. Erst am nächsten Morgen, der Panzer hatte die ganze Nacht immer mal wieder gelärmt, kam Panzerführer Hauptmann Brill samt Polizei. Brill gestern: „Ich wollte mir mal jemanden angucken, der auf Menschen schießt. Ich schieße nur auf Pappkameraden.“ Brill will nämlich etwas ganz anderes erlebt haben, als das, was Kupfermann vor Gericht schilderte. Plötzlich habe der „stark erregte“ Rasputin eine Schußwaffe gezo

gen und er, Brill, habe „in ein schwarzes Rohr“ geschaut. Ein weißer Streifen sei direkt an seinem Kopf vorbeigezischt und dann an der Dachziegel eines gegenüberliegenden Hauses aufgetroffen. Außerdem habe der Schütze die Panzerbesatzung lauthals als „Schweine und Mörder“ beschimpft. „Der Mann muß eine Riesenwut gehabt haben.“

Joachim Stünker, Richter am

Achimer Amtsgericht, fehlte hörbar die Lust, die Wahrheitsfindung „Kopf auf Spitz“ zu betreiben und die Widersprüche zwischen den Aussagen der uniformierten Staatsverteidiger und dem zivilen Hausfriedensverteidiger aufzuklären. Obwohl Stünker die Gefühle des letzeren „persönlich gut nachvollziehen konnte“, freisprechen mochte er ihn nicht. Sein Vorschlag: Ein

stellung des Verfahrens wegen „Geringfügigkeit“. Seine Auflage: Kupfermann sollte 1.000 Mark an den BUND bezahlt und sich für die „Mörder“ und „Schweine“ entschuldigen. Ersteres akzeptierte der Angeklagte, und das mit der Entschuldigung muß Richter Stünker im Eifer des prozessualen Gefechtes irgendwie vergessen haben.

hbk

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