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Im Westen nichts Neues

Gewerkschaftsroutine statt europäischer Arbeitnehmer-Solidarität bei Metall-Tarifstreit  ■  G A S T K O M M E N T A R

Zugegeben - ich als alter/neuer Metaller sehe es diesmal nicht mitten aus dem Betriebsgeschehen. Von außen sieht der Tarifstreit aus wie eh und je. Die Unternehmer haben in den letzten Jahren große Gewinne eingefahren. Die Löhne sind im Verhältnis dazu zurückgeblieben. Was liegt näher, als einen kräftigen Lohnzuschlag notfalls auch zu erstreiken.

Die Unternehmer haben in den letzten Jahren den Kapitalanteil an Maschinen und Anlagen durch Rationalisierung erhöht. Was liegt näher, als angesichts anhaltender Massenarbeitslosigkeit die 35-Stunden-Woche durchzusetzen. Soweit, so gut - aber war da nicht noch was anderes? 16 Millionen DDRler fangen gerade an, um günstige Ausgangsbedingungen für ihr Leben zu kämpfen. Es sind im Vergleich zur Bundesrepublik viel mehr Arbeitnehmer, Kolleginnen und Kollegen als hier bei uns. Die Unternehmer schmieden Pläne, investieren wie die Blöden und freuen sich auf den großen Reibach. Frage: Wo investieren die bundesdeutschen Arbeitnehmer, die Gewerkschaften, in die Solidarität mit den DDR-Arbeitnehmern? Der 1. Mai, Kampftag für Arbeitnehmerrechte, hat darüber keinen Aufschluß gebracht. Breit, Steinkühler und die anderen Gewerkschaftsführer erklären, die DDR solle kein Billiglohnland werden, aber wir in der Bundesrepublik seien nicht bereit, von unseren Ansprüchen nachzulassen. Im Bewußtsein unserer Arbeitnehmer und der Gewerkschaften ist die DDR - von Polen, Ungarn, der CSSR gar nicht zu reden offensichtlich ein Dritte-Welt-Land. Die Gewerkschaften verpassen die Chance, die Neuordnung Europas auch als Arbeitnehmer-Europa mitzugestalten und wirkungsvolle Akzente sozialer Gerechtigkeit, die doch keine Almosen der Unternehmer sein können, zu setzen.

Also: Warum taucht nirgendwo der Gedanke auf, daß ein Teil des Lohnzuwachses aus der Tarifrunde, ergänzt durch einen gleich großen zusätzlichen Teil von Unternehmerzuschüssen, in einen Fonds zur Milderung der ganz sicher kommenden Arbeitslosigkeit in der DDR oder zur Stützung von Arbeitnehmerinitiativen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze eingebracht werden soll? Phantasie ist gefragt, anstelle von Gewerkschaftsroutine. Wichtig: Überlassen wir das deutsch-deutsche Zusammenwachsen den neuen Nationalen - oder ist es Anlaß für eine neue handfeste europäische Arbeitnehmer-Solidarität?

Komme mir keiner, ich würde die Unternehmer schonen. Ohne solidarische und kämpferische Zusammenarbeit mit den neuen Gewerkschaften in ganz Osteuropa überlassen wir den Unternehmern ohnehin das Feld.

Willi Hoss

Der Autor, Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, war lange oppositioneller Betriebsrat bei Daimler-Benz in Stuttgart und Mitgründer der „Plakat„-Gruppe. Deswegen in den 70er Jahren aus der IG Metall ausgeschlossen, wurde die Gruppe jüngst wieder aufgenommen.

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