: Selbständigkeit und Mitbestimmung
■ Porträt der Kandidatin des Neuen Forums für das Bürgermeisteramt, Ingrid Köppe
Ost-Berlin. In eine Partei will sie niemals eintreten, da ist sich Ingrid Köppe sicher. Die 32jährige Vertreterin des Neuen Forums, die sich am kommenden Sonntag für die Ostberliner Stadtverordnetenversammlung zur Wahl stellt, gehört außerdem zu den fünf Kandidaten, die die Verbindung Bündnis 90 / Grüne Liste für das Amt des künftigen Bürgermeisters der Stadt vorschlägt. „Man muß die alten Strukturen des Magistrats durchbrechen“, erklärt die gebürtige Berlinerin, und müsse sich deshalb gerade im Bürgermeisteramt nicht der Partei, sondern „der Sache“ verpflichten.
Im Alter von 18 Jahren wurde die Studentin Ingrid Köppe zum erstenmal politisch aktiv. Nach der Ausweisung des Liedermachers Wolf Biermann weigerte sie sich, eine vom Politbüro verbreitete Resolution gegen ihn zu unterzeichnen. Statt dessen ging sie zum Büro ihrer Universität und unterschrieb ihre Exmatrikulation - „bevor der Staat sie mir schreibt“. Damit war ihr Studium, Russisch und Deutsch auf Lehramt, erst einmal zu Ende. Dabei hatte sie gerade zu diesen Fächern ein ganz besonderes Verhältnis, arbeitete doch schon ihre Mutter als Übersetzerin in beiden Sprachen. Doch damit war sie im Drei-Schicht-System tätig und somit selten zu Hause. Zum Vater, einem Ukrainer, gab es kaum Kontakt, die Eltern waren nicht verheiratet. Ingrid Köppe wuchs zusammen mit ihrer Schwester hauptsächlich bei ihren Großeltern auf. Aus diesen Jahren hat sie, wie sie sagt, von der Familie vor allem eins mitbekommen - einen großen Anspruch auf Selbständigkeit: „Meine Mutter hat mich immer sehr darin gestärkt, eine eigene Meinung zu haben.“ Sicherlich habe dies in einem großen Widerspruch zu der Abhängigkeit gestanden, in die der Staat sie durch Lehrer, Zensuren und Autoritäten gedrängt habe. „Natürlich gab es da Konflikte, das ist normal, aber ich habe mir deshalb danach keine andere Haltung zugelegt.“
Nach ihrem Entschluß, die Hochschule freiwillig zu verlassen, fand Ingrid Köppe erst einmal ein Vierteljahr keine Anstellung. Anschließend schlug sich sich als Bibliothekshelferin durch, um sich letztendlich in diesem Fach an der Hochschule wieder einzuschreiben. Auch als Bibliothekarin spürte sie immer wieder den langen Arm der SED-Regierung: „Zum Beispiel, als in den Schulen das Fach Wehrerziehung eingeführt wurde, so eine Art vormilitärische Ausbildung, da mußten wir immer ganz bestimmte Bücher zu diesem Thema bestellen, ganz egal, ob sie für die Schüler und Schülerinnen überhaupt geeignet sind.“ Zur Wehr gesetzt hat sie sich aber immer nur allein oder mit Freunden - „wir haben Flugblätter hergestellt und die verteilt“ -, zu kirchlichen Oppositionsgruppen hielt sie keinerlei Kontakt. „Für mich kam immer nur eine Bürgerbewegung außerhalb von Partei und Kirche in Frage, dort ist die Meinungsvielfalt größer, und es können sich einfach viel mehr Leute einbringen.“ Aus diesem Grund sympathisierte Ingrid Köppe bereits im September letzten Jahres mit dem Neuen Forum und trat dieser Oppositionsgruppe kurz nach ihrer Gründung bei. Zunächst als Kontaktperson für Köpenick, seit Februar ist sie angestellt als Sprecherin des Neuen Forums.
Mitbestimmung und Selbständigkeit bestimmen auch ihre politischen Ziele. Sie fordert eine hohe Eigenständigkeit der Stadtbezirke, eine Verfassung für das Land Berlin und Bürgerforen, die „die neugewählten Politiker zu öffentlichen Rechenschaftsberichten verpflichten“. Doch erst einmal engagiert sie sich für einen Volksentscheid - die BürgerInnen der DDR sollen bestimmen, ob sie den Verfassungsentwurf des Runden Tisches „genauso vom Tisch wischen“ wie die Volkskammer.
Martina Habersetzer
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