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Es boomt sanft

■ Reinhard Kuntzke gibt einen Überblick über den tourismuskritischen Büchermarkt. Edith Kresta hat sich zwei Neuerscheinungen angeschaut

Es boomt sanft

REINHARD KUNTZKE gibt einen Überblick über den tourismuskritischen Büchermarkt.

EDITH KRESTA hat sich zwei Neuerscheinungen angeschaut.

om sanften Management bis zum geruhsamen Aufenthalt in Afrika - das Spektrum des „sanften Tourismus“ ist so breit wie der Begriff diffus. Nah statt fern, langsam statt schnell, fragmentarisch statt all around, angepaßt statt luxuriös, sanft statt aggressiv: Trotz Polarisierung bleiben die Inhalte vage. Der Begriff ist abgegriffen und überfrachtet. Ein Schlagwort das häufig zum Etikettenschwindel bei cleveren Veranstaltern oder zum bieder-gequälten Urlaubsidyll unverbesserlicher Weltverbesserer verkommt. Dennoch werden die Forderungen eines sozial- und umweltverträglichen Tourismus immer drängender. Sanftes Wiederkäuen der Problematik als didaktische Methode, deren Inhalte langsam bis zu den Chefetagen der Tourismuskonzerne vordringen? Die Lockworte der expandierenden Tourismusindustrie verlieren ihren Reiz angesichts zerstörter Idyllen. Sanft und behutsam schwenkt der Trend auf dem Reisemarkt auf die notwendigsten Veränderungen ein.

Denn Tourismuskritik ist längst hoffähig geworden. Immer neue Publikationen setzen sich mit den Auswirkungen der touristischen Massenveranstaltung auseinander. Neue Aspekte werden kaum in die Diskussion eingebracht. Dennoch signalisiert der sanfte Kritikboom auf dem Büchermarkt verstärktes Interesse und größere Nachfrage. Auf ein breiteres Publikum zielt sicherlich auch das in der Beck'schen Reihe erschienene Buch Der neue Tourismus . Rücksicht auf Land und Leute. Der Titel Der neue Tourismus ist zwar etwas weit gegriffen, denn wirklich Neues findet man wohl kaum in dem Buch. In erster Linie gibt es einen braven Überblick über die tourismuskritische Diskussion der letzten Jahre. Leider wird der überfliegerartige Schnellkurs in Sache Tourismuskritik auch bei den Fallbeispielen im zweiten Teil des Buches durchgehalten. Die touristischen Krisenregionen wie Alpen, Goa, Mittelmeer werden abgehandelt, Ansätze mit neuen Qualitäten, welche der Titel suggeriert, kommen dabei jedoch zu kurz. Lilo Roost Vischer gibt beispielsweise einen guten analytischen Überlick über den Dorftourismus im Senegal, Manfred Kohl untersucht das Modell Bhutan (Luxustourismus) nach seiner Übertragbarkeit auf andere Länder, und Martina Neuer setzt sich mit der Situation im Nachbarstaat Tibet Touristen als Augenzeugen der Politik - auseinander.

ie radikalste Version eines neuen Tourismus steckt in Andre Hellers nur zur Hälfte ironischem Plädoyer „für die Schaffung eines reinen Tourismuslandes, das all das beinhaltet, was die Tourismusindustrie als Köder verwendet (...). Das sogenannte Replika-Territorium soll entstehen. Eine Musterkollektion von kaleidoskophaft wechselnden Eindrücken mit klimatischen Zonen aller Geschmacksrichtungen. Eiswüsten neben zaghaft aktiven Vulkanen, elektronisch gesteuerte Atlantik-Brandungen neben provenzalischen Lavendelfeldern, lawinensichere Tiefschneeabfahrten neben tahitianischen Transvestitenbordellen (...).“ Doch solange es dieses sagenhafte Tourismusland noch nicht gibt und man sich mit dem „Pestarm des Tourismus“ weiterhin herumschlagen muß, ist das Buch wie auch die Becksche Länderreihe durchaus empfehlenswert. Ein zwar etwas zu glatt geratener Überblick, daher aber trotz trockenen Themas urlaubsgeeicht.

Gründlicher, wissenschaftlicher, weniger geglättet ist Eingeborene - ausgebucht aus der Reihe ökozid (Herausgeber Claus Euler), focus verlag. Durch lange Literaturhinweise und die Art der Aufbereitung der Artikel kommt es etwas schwerfällig daher. Nicht die tourismuskritische Diskussion wird hier zum x-ten Mal in ihrer Gänze aufgerollt, vielmehr werden die negativen ökologischen Auswirkungen des Tourismus als Hauptstrang des Buches an konkreten Fallbeispielen aufgezeigt. Eine Zusammenfassung tourismuskritischer Standpunkt gibt das Gespräch mit dem engagierten Schweizer Journalisten Al Imfeld. Die theoretischen Auseinandersetzungen mit Ethno- und Forschertourismus sind bisher eher unterbeleuchtete Ansätze der Diskussion.

Die Fallbeispiele beider Bücher sind fast identisch: die Alpen, Goa, Thailand, Südssee. Am Beispiel Thailands stellt Heidi Thiemann den „Sextourismus als spezielle Form ökologischer Zerstörung“ dar. Das es sich dabei zunächst um eine individuelle und soziale Zerstörung handelt, wird in dem Artikel auch sehr gut dargelegt. Ofensichtlich mußte in der Überschrift einfach noch einmal das ganzheitliche, ökologische Bewußtsein der Herausgeber hineinpassen. „ökozid5“ setzt sich mit Aspekten auseinander, die über die immer wieder herbeizitierte Themenpalette touristischer Zerstörung hinausreichen. Insgesamt wirkt die Zusammenstellung jedoch etwas beliebig. Frank Kressings Nachbetrachtung zu den Olympischen Spielen in Callgary geht auf den Protest und die unterdrückten Interessen der indianischen Ureinwohner ein. Günter Ermlich sieht die Natur im Würgegriff durch die Pläne einer Miniaturausgabe des von Andre Heller herbeiphantasierten Tourismuslandes. „Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen“, so sein Resümee mit Goethe zu dem Center-Parc-Projekt in der Lüneburger Heide. Eben. So möge auch unserer Schwerpunkt „sanfter Tourismus“ im Sinne des Reisespezialisten Goethe ausklingen.

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