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Die „zweite Revolution“ in Rumänien geht weiter

■ Demonstranten fordern den Ausschluß kommunistischer Funktionäre von der Wahl / Doina Cornea klagt Iliescu an / Vorsichtige Erklärung der orthodoxen Kirche / Vizepremier Voican rechtfertigt sich / Iliescu trat vergeblich für öffentlichen Prozess gegen Ceausescu ein

Bukarest (taz/afp) - Am Donnerstag abend haben wieder mehrere tausend Menschen gegen Präsident Iliescu und die Regierung der Nationalen Rettungsfront demonstriert. Auch in Temeswar dauern die Kundgebungen an. Gefordert wird der Rücktritt Iliescus und sein Verzicht auf die Präsidentschaftskandidatur. Ehemaligen Parteifunktionären sowie Securitate-Mitgliedern soll für drei Wahlperioden das passive Wahlrecht entzogen werden. Die auf den 20. Mai angesetzten Wahlen sollen verschoben werden. Das Universitätsgebäude in Bukarest wurde von Mitgliedern des Studentenverbandes, die sich der „zweiten Revolution“ angeschlossen haben, gesichert. Dutzende von RednerInnen klagten von verschiedenen Positionen aus Iliescu an, das Ceausescu-Regime fortsetzen zu wollen.

Die rumänisch-orthodoxe Kirche hat alle Parteien des Landes zum Dialog aufgerufen. Sie vermied es aber, auf die Forderungen der Demonstranten einzugehen oder deren Gesprächsaufforderung gegenüber der Regierung zu unterstützen. Die Zurückhaltung der Kleriker wird verständlich, wenn man sich ihre Unterwürfigkeit gegenüber Ceausescu ins Gedächtnis zurückruft. Haben sie doch erst kürzlich ihren aufs schwerste kompromittierten Patriarchen, der unter dem Eindruck der Revolution zurückgetreten war, wieder in sein Amt eingesetzt.

Doina Cornea, Französisch-Lehrerin aus Klausenburg und demokratische Aktivistin der ersten Stunde gegen Ceausescu hat am Donnerstag gegenüber einer spanischen Zeitung die Meinung vertreten, daß der Umsturz in Bukarest Ergebnis eines Militärcoups gewesen sei - im Gegensatz zu der Bewegung in Temeswar, die sich spontan und demokratisch entwickelt habe. Mit Ausnahme von Silviu Brucan habe keiner der heute Regierenden einen Finger gegen das Regime gerührt. „Sie standen auf Empfängen herum, während Bulldozer die Dörfer zerstörten.“ Doina Cornea beklagte vor allem die totale Kontrolle des Fernsehens durch die Regierung. Viele Künstler und Intellektuelle, die sich zuerst dem Rat der nationalen Rettung angeschlossen hatten, haben sich jetzt mit der Protestbewegung solidarisiert.

Die Regierung zeigte sich weiter von den Demonstrationen unbeeindruckt. Vizepremier Voican meinte am Donnerstag, die Demonstrationen hätten ihr Ziel, die Bevölkerung zu mobilisieren, verfehlt. Voican zeigte sich bereits geübt in der Demonstrantenbeschimpfung: Taugenichts sei ein zu milder Ausdruck für diese bezahlten Berufsdemonstrierer, arbeitslosen Studenten, Intellektuellen. Die Demonstrationen seien illegal und undemokratisch, da das Parlament ein Verbot der Teilnahme ehemaliger kommunistischer Funktionäre mit großer Mehrheit zurückgewiesen habe.

Voican enthüllte weitere Details des Militärtribunals gegen die Ceausescus. Iliescu habe die Meinung vertreten, dem rumänischen Volk könne nicht das Recht verwehrt werden, mit seinen Henkern in einem öffentlichen Prozeß abzurechnen, der dem in Nürnberg ähnlich sein müsse. Er, Voican, habe aber darauf bestanden, die Ceausescus sofort zu verurteilen und hinzurichten, weil die Gefahr einer Befreiung der Diktatoren bestanden habe und der Widerstand der „Securitate -Terroristen“ anders nicht hätte gebrochen werden können. Iliescu habe sich von diesen Argumenten schließlich überzeugen lassen. Voican teilte mit, daß er zusammen mit dem General Stanculescu die Organisation von Prozeß und Hinrichtung übernommen habe.

Christian Semler

Während Präsidentin Chamorro erneut mit der Contra-Führung in Managua verhandelt und die UNO deren Entwaffnung anmahnen, ging bei uns schon das Foto angeblich zurückgegebener Waffen ein.Helene Roux

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