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Biebesheim: Ein Schuß in den (Giftmüll-)Ofen

Seit Ende April wird im südhessischen Biebesheim die Erweiterung einer Giftmüllverbrennungsanlage verhandelt / Anlage ist von Bedeutung für die Müllpolitik mehrerer Länder / Rund zehntausend EinwenderInnen gegen den dritten Riesenofen  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Biebesheim/Frankfurt (taz) - In der Viehauktionshalle der kleinen südhessischen Gemeinde Biebesheim - in Sichtweite der AKW-Kühltürme von Biblis - geht es seit Ende April rund: Landfrauen mit weißen Overalls und Gasmasken, bärtige Bürgerinitiativler und sachkundige Giftmüllexperten aus dem Darmstädter Ökoinstitut wehren sich im Rahmen des Anhörungsverfahrens gegen die Errichtung eines dritten Sondermüllverbrennungsofens auf dem Gelände der Hessischen Industriemüll GmbH (HIM) im Biebesheimer Gewerbegebiet. Mit diesem dritten Ofen steht und fällt die Gesamtkonzeption für die Sondermüllbeseitigung der Bundesländer Hessen, Rheinland -Pfalz und Baden-Württemberg, die - da alle mehrheitlich unionsregiert - voll auf die Giftmüllverbrennung setzen.

30.000 Tonnen feste, flüssige und pastöse Chemieabfälle sollen demnächst in dieser dritten Einheit der Anlage bei Temperaturen von 1.200 bis 1.400 Grad verbrannt werden. Damit nehme der Betreiber eine „erhebliche Zahl zusätzlicher Krebstoter“ im südhessischen Ried in Kauf, meinte noch vor Eröffnung des Erörterungstermins der Anwalt der vereinigten Bürgerinitiativen und EinwenderInnen, Wolfgang Baumann. Der erfahrene Umweltadvokat bezog sich dabei auf Aussagen des Gutachters Michael Braungart, der in seiner Expertise eine erhöhte Gefährdung der Bevölkerung durch die Zunahme des Ausstoßes von Dioxinen, Furanen und Schwermetallen für den Fall prognostiziert hatte, daß der dritte Ofen tatsächlich gebaut wird. Die halbstaatliche HIM als Betreibergesellschaft beteuert dagegen, daß der Ausstoß etwa an Schwermetallen nur rund ein Drittel des genehmigten Grenzwertes erreichen werde und sich die Schadstoffemission in der Region insgesamt „nur um ein Prozent“ erhöhe. Für organische Stoffe wie Dibenzodioxine und Dibenzofurane errechneten die Gutachter, die vom hessischen Umweltminister Weimar (CDU) bestellt wurden, eine Zusatzbelastung der am höchsten belasteten Bevölkerungsgruppe in der Hauptwindrichtung von „maximal drei Prozent“. Für den Umweltminister steht damit fest, daß die zusätzliche Umweltbelastung durch den dritten Verbrennungsofen „so gering ist, daß sie nicht zu einer Gesundheitsgefährdung führt“.

Derzeit betreibt die HIM in Biebesheim zwei Verbrennungsanlagen mit einer Jahreskapazität von rund 60.000 Tonnen. Täglich rollen 50 bis 60 Lastwagen durch das Ried, um bei der HIM ihre giftige Fracht aus den Chemiezentren des Südwestens der Republik abladen zu können. Die Rauchfahne am riesigen Schornstein der Giftmüllöfen I und II zeigt den Spargel- und Gurkenbauern des ländlich strukturierten Gebietes am „Dreiländereck“ Hessen, Baden -Württemberg und Rheinland-Pfalz schon von weitem, woher der schmutzige Wind weht. Selbst bei strikter Einhaltung aller Grenzwerte würden bei der Sondermüllverbrennung noch immer erhebliche Schadstoffe emittiert, meinte der Mainzer Universitätsdozent Biesalski auf einer Veranstaltung der BUND-Ortsgruppe Riedstadt nur Tage vor dem Anhörungsverfahren. Noch sei über die Langzeitwirkungen einzelner giftiger Substanzen kaum etwas bekannt, so daß die Grenzwertsetzung mehr als problematisch sei. Dioxine und Furane etwa reicherten sich besonders im Fettgewebe an und hätten eine Halbwertzeit von acht Jahren: „Beide Stoffe zählen zu den stärksten krebsbegünstigenden Substanzen und erhöhen in Spätfolge auch die Todesrate für Krebs“ (Biesaski). Für die Menschen in der Region sind die Grenzen der Belastbarkeit deshalb schon heute erreicht. Elf betroffene Kommunen und drei Landkreise aus Hessen und Rheinland-Pfalz haben sich zu einer Arbeitsgemeinschaft gegen den dritten Giftmüllofen zusammengeschlossen. Dazu kommen mehrere Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbände sowie Tausende von EinzeleinwenderInnen.

Zu einem ersten Eklat zwischen Landesregierung, Regierungspräsidium und HIM auf der einen und den engagierten EinwenderInnen auf der anderen Seite kam es bereits vor dem Erörterungstermin. Den Anwälten der BürgerInnen wurde das volle Akteneinsichtsrecht in Sachen HIM-Altanlage verweigert, obgleich an den bestehenden Ofenanlagen I und II - „ohne Beteiligung der Bevölkerung“ mehrfach Veränderungen vorgenommen worden waren. Und am ersten Tag der Erörterung knallte es erneut: Trotz vorheriger schriftlicher Zusage hatte das verhandlungsführende Regierungspräsidium den EinwenderInnen weder einen Besprechungsraum eingerichtet, noch Telefon oder Stromleitungen verlegen lassen. Auch der versprochene Wohncontainer für die Kinderbetreuung fehlte, obwohl in der Viehauktionshalle mehrfach bis nach Mitternacht verhandelt wurde.

Die EinwenderInnen sprechen deshalb von einem „Geisterverfahren“: Sowohl von der HIM als auch von den Experten des Ministeriums werde immer wieder auf Fakten aus der bestehenden Anlage verwiesen, ohne daß die UmweltschützerInnen Details aus diesen Anlagen kennen. Für die Bürgerinitiativen „AGU Biebesheim“ und „Crumschter gegen HIM“ sowie für die kommunale Arbeitsgemeinschaft erklärte deren Sprecherin Beate Schmidt deshalb nach dem achten Verhandlungstag, daß die betroffenen Bürger „völlig im dunkeln“ tappten. Ende April stand das Erörterungsverfahren gar kurz vor dem Abbruch. Mit minutenlangem provozierendem Klatschen und Tischeklopfen hatten die EinwenderInnen auf eine Einlassung des HIM-Vertreters in der Lokalpresse reagiert, wonach die Betreibergesellschaft dabei sei, neue Antragsunterlagen zu erarbeiten - eine Reaktion auf die Änderung der 17. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) durch die Bundesregierung. Denn: Die dort festgelegten neuen Grenzwerte für den Schadstoffausstoß liegen unterhalb der Grenzwerte, an denen sich der vorliegende Antrag für den dritten Ofen orientiert. Schmidt: „Uns wurde klar, daß der Ofen nie und nimmer so gebaut werden wird, wie er beantragt ist. Wir verhandeln hier über eine Altplanung.“ Auf Nachfrage von Rechtsanwalt Baumann verweigerte die HIM jede Auskunft zur laufenden Neuplanung des Giftmüllofens.

Auf die Empörung der BürgerInnen reagierte der verunsicherte Verhandlungsführer Guthmann vom Regierungspräsidium in Darmstadt mit der Verhängung von Ordnungsrufen. Die „Störer“, so Guthmann, sollten den Saal verlassen. „Die HIM soll gehen“, konterten die EinwenderInnen, denn „die spielen doch mit unserer Gesundheit“. Bleibt die Genehmigungsbehörde hart, wird die „Farce von Biebesheim“ (Sprecherin Beate Schmidt) noch bis zum 11.Mai fortgesetzt werden.

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