: Denunziation als Fernsehvergnügen in Italien
■ In einer neuen Sendung beschnüffeln sich Bürger gegenseitig
Die Stimme des Gewissens heißt eine demnächst anlaufende Sendung im italienischen Fernsehen, die von der Beteiligung der Zuschauer lebt. Ihre Mitwirkung besteht darin, zu denunzieren. Anonym können sie den Nachbarn, der seine Frau betrügt, den Kollegen, der durch schlimme Tricks Karriere macht, oder den Freund, der Steuern hinterzieht, anschwärzen. Ähnlich konzipierte Sendungen, in denen beispielsweise mit Hilfe der Zuschauer Straftäter oder verschwundene Personen gesucht werden, haben es in Italien zu enorm hohen Einschaltquoten gebracht. In „Stimme des Gewissens“ wird die Zuschauerbeteiligung jedoch eine völig neue Dimension erreichen.
„Das 'Denunziationsfernsehen‘ öffnet einer völlig überflüssigen Boshaftigkeit Tür und Tor“, empörte sich die Tageszeitung 'La Stampa‘. Der Erfinder dieser neuen Form der Zuschauerbeteiligung, Gianni Ippoliti, ist da jedoch anderer Ansicht. „Die Denunziation ist ein Produkt des Neides. Neid wiederum ist, auch wenn er zu den Todsünden gehört, ein im Volk weit verbreitetes Gefühl. Und wir zählen nun einmal auf die Stimme des Volkes“, meint der Fernsehmacher.
Die Stimme des Gewissens stellt sich einem harten Konkurrenten. In der Sendung Chi l'ha visto? (Wer hat sie gesehen), die mit Erfolg im dritten Programm des staatlichen Fernsehens läuft, werden verschwundene Mitbürger per Television gesucht. „Um dieser Sendung Konkurrenz zu machen, müssen wir uns mächtig ins Zeug legen“, sagt Ippoliti und betont, daß das Konzept seiner Sendung das gleiche ist. „Wir wollen eben Leute suchen, die uns Tag für Tag das Leben schwermachen.“ Nähere Angaben über den genauen Verlauf der Sendung verweigerte Ippoliti bisher. Man werde ja am 15. Mai, wenn die Stimme des Gewissens anlaufe, sehen was passiert.
Hunderte von Briefen, in denen Mitmenschen angeschwärzt werden, oft auch mit Beweisfotos, sind bereits beim privaten Fernsehsender Italo Uno eingegangen. In den Werbespots, die die neue Sendereihe ankündigen, werden nicht nur mögliche Fehltritte genannt, die zu denunzieren sich lohnt, sondern auch die Adresse, an die entsprechende Informationen geschickt werden können.
Auf die Möglichkeit hin angesprochen, daß Menschen nach der Sendung gerichtlich belangt werden könnten, antwortet Ippoliti lakonisch: „Wir zählen auf den Verantwortungsgefühl des italienischen Volkes.“
afp
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