: 102.000 sowjetische Soldaten fielen bei Berlin
Gedächtnis und Denkmal - der sowjetische Journalist Dmitri Tultschinski schrieb für die taz aus Anlaß des 45. Jahrestages des Kriegsendes einen Beitrag zur Geschichte des sowjetischen Ehrenmals am Brandenburger Tor im Tiergarten ■ D O K U M E N T A T I O N
Wie schön es gewesen wäre, wenn es vor 45 Jahren keinen Grund gegeben hätte, sowjetische Denkmäler in Berlin, die Denkmäler für Gefallene, zu errichten! Die Russen hätten heute keine hämischen Worte über die „Eroberung Berlins“ zu hören und nicht zu lesen brauchen; die Einwohner der Stadt aber hätten sich nicht beim Anblick dieser Denkmäler so ungemütlich wegen des unausrottbaren Schuldkomplexes der Deutschen gefühlt. Die Geschichte läßt sich aber nicht aufheben, die Toten kann man nicht wiedererstehen lassen. Und in der Schlacht um Berlin gab es allein auf der sowjetischen Seite mehr als 102.000. Es waren auch nicht weniger Deutsche dabei gefallen.
Besonders harte Kämpfe entbrannten damals in der Stadtmitte Berlins. Die Toten wurden dort begraben, wo sie gefallen waren. Im Stadtareal von Berlin waren überall Gräber sowjetischer Soldaten mit lakonischen Aufschriften, am häufigsten aber ohne, verstreut. Gleich nach der Schlacht um Berlin faßte der Kriegsrat der 1. Belorussischen Front den Beschluß, Memorials für die beim Sturm Berlins gefallenen sowjetischen Soldaten zu errichten. Als erstes sollte das Memorial beim Reichstag entstehen, wo die letzten erbitterten Kämpfe ausgetragen worden waren. Die Zahl der Entwürfe war nicht groß, und die Wahl fiel auf die von den Bildhauern Lew Kerbel und Wladimir Zigal und dem Architekten Nikolai Sergijewski unterbreitete Variante. Die Verfasser berücksichtigten die Besonderheit des Ortes - der Tiergarten, die Nähe des Reichstages, die Ausfahrt zur Charlottenburger Chaussee (heute Straße des 17. Juni). Der Sockel des Memorials wurde um anderthalb Meter über die Chaussee-Ebene gehoben, damit der ganze Komplex besser sichtbar ist. An den Ecken des Memorials wurden zwei T-34 -Panzer aufgestellt, die als erste in Berlin eingebrochen waren, hinter den Panzern - die Feldgeschütze, deren Salven die Beendigung der Schlacht verkündet hatten.
Die Bautermine waren äußerst knapp. Allein für die Errichtung der sechs Meter hohen Bronzeskulptur war mehr Zeit erforderlich als für alle Arbeiten insgesamt. Darum wurde beschlossen, die Skulptur aus bronzeartig patiniertem Gips anzufertigen und sie später durch eine Bronzefigur zu ersetzen. Gegossen wurde sie von der Firma NOAK. Die Arbeiten wurden nach Stunden aufgeteilt. In der letzten Etappe jedoch, da alle Schwierigkeiten überwunden zu sein schienen, erinnerte der Krieg an sich.
Beim Transport der Figur des Soldaten aus der Kunstakademie fuhr der Schwerlastwagen, als er den Tiergarten passierte, auf eine Mine auf. Ein Begleiter kam dabei ums Leben, ein anderer wurde schwer verletzt, die Teile der Figur zerschellten. Alles mußte von neuem begonnen werden.
Als die Errichtung des Denkmals bereits ihrem Ende zuging, entstand die Idee, ihm gegenüber zerstörte Kriegstechnik unterzubringen. Die auf sie weisende Hand des sowjetischen Soldaten sollte gleichsam daran erinnern, wie jene endeten, die einen Anschlag auf den Frieden verübt hatten. Marschall Georgi Zukow lehnte jedoch diese Idee ab. Wie er sagte, kam es darauf an, „dem deutschen Volk zu zeigen, wer es vor dem Faschismus gerettet hat, nämlich den sowjetischen Soldaten“.
Das Denkmal wurde am 11. November 1945 - am Tage der internationalen Siegesparade der Truppeneinheiten der Länder der Anti-Hitler-Koalition - eingeweiht. Seitdem wird dort regelmäßig die sowjetische Wache abgelöst. Wie lange noch? Vielleicht werden in Zukunft (der nächsten?) in Berlin keine fremden Truppeneinheiten - und nicht nur symbolische bleiben. Das Denkmal im Tiergarten aus dem Stadtbild zu entfernen, wäre aber das gleiche wie die Gedächtniskirche wegzuschaffen. Man kann schließlich ein Denkmal verschwinden lassen, nicht aber das Gedächtnis.
Dmitri Tultschinski, 'apn‘
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