: Tschernobyl-Fallout in der DDR gemessen
■ Erstmalig wurde die Strahlenbelastung des Territoriums der DDR nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl gemessen
Bonn (taz) - Die Lutherstadt Wittenberg und Rathenow westlich von Berlin sind nach Tschernobyl vergleichbar so stark radioaktiv verseucht, wie die in der Bundesrepublik am höchsten belasteten Regionen des Allgäus.
Die Cäsiumstrahlung in diesen Städten lag 1986 bei 35.000 Becquerel pro Quadratkilometer (Bq/qm). Das maßgebliche Isotop Cäsium-137 verliert nach etwa 30 Jahren die Hälfte seiner Radioaktivität, d.h. eine endgültige Bilanz der Schäden wäre erst in 180 Jahren zu ziehen.
Ebenfalls stark belastet sind Regionen um Ludwigslust, südlich von Schwerin und Eisenach. Dort wurden Werte zwischen 25.000 und 20.000 Bq/qm gemessen. Mitarbeiter der Radioaktivitätsmeßstelle der Universität Oldenburg bereisten mit einem Meßwagen erstmals die DDR. Bislang gab es weder in der DDR noch in der BRD öffentlich zugängliche Zahlen. In einem Raster von 35 Quadratkilometern (in Atomkraftwerksnähe) wurden Bodenproben gezogen und später im Labor analysiert. Gleichzeitig führten die Physiker vor Ort Messungen der Gamma-Strahlung an der Oberfläche durch. In der Umgebung des AKW Greifswald konnte keine erhöhte Belastung des Bodens gegenüber der weiteren Region festgetellt werden. Auch das Isotopenverhältnis zwischen Cäsium-137 und Cäsium-134 deutet nach Angaben der Oldenburger Wissenschaftler nicht auf eine Belastung durch das AKW hin.
Allerdings läßt sich daraus eine Aussage über mögliche andere radioaktive Umweltbelastungen etwa durch Edelgase nicht ableiten.
Vergleichbare Werte in BRD
Auch um das AKW Rheinsberg bei Neuruppin war die Bodenbelastung nicht erhöht. Sie lag zwischen 3.000 und 4.000 Bq/qm. Insgesamt ist die Cäsiumbelastung der DDR mit der der BRD vergleichbar. Die Aktivitätswerte schwanken zwischen 1.000 und 35.000 Bq/qm, wobei diese Werte, wie international üblich und um den Vergleich der Daten mit anderen Quellen zu ermöglichen, auf den Mai 1986 zurückgerechnet sind.
Wieland Giebel
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