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Traum vom Film vom Traum

■ Kurosawas „Träume“ eröffnen das 43. Festival von Cannes

Bei manchen Filmen weiß man nach fünf Minuten Bescheid, bei manchen nie. Aber vielleicht kann man hindurchgehen, wie Kurosawa in einem Traum durch die Bilder van Goghs. Als der Träumer sehr klein war, feierten die Füchse noch unter'm Regenbogen Hochzeit (1. Traum). Als er ein paar Jahre älter war, hatten die Eltern den Pfirsichhain schon gerodet (2. Traum). Als er im Schneesturm fast erfror, war das schützende Zelt ganz in der Nähe (3. Traum). Als er seinen Soldaten nach dem Krieg versicherte, sie seien gestorben wie die Hunde, wollten sie ihm nicht glauben (4. Traum). Als er als Kunststudent van Gogh traf, hatte der sich schon das Ohr abgeschnitten (5. Traum). Als ein Verfahren entwickelt worden war, gefährliche Radioaktivität sichtbar zu machen, brach sie auch schon aus und der Fujiyama verglühte (6. Traum). Als der Löwenzahn mannshoch wuchs und die Menschen Hörner trugen - eine Folge der Radioaktivität -, war er der einzige, der noch ungehörnt ging (7. Traum). Als er ins letzte Dorf kam, das noch in Einklang mit der Natur lebte, fand er seinen Grabstein schon gesetzt (8. Traum).

Kurosawa lebt hinter der Zeit. Seine Träume sind nicht einfach Träume oder surrealistische Traumprotokolle Kurosawa ist nicht so sehr an der Mechanik der Träume interessiert wie zum Beispiel Bunuel. Es sind eher Rückblicke - teils auf eine mögliche Zukunft -, objektivierende Traumerzählungen auf dem halben Weg zur Deutung, die Art Träume, in denen der Träumer sich selbst zusieht: über Ich und Es, über Träumer und Welt. Kurosawa gibt keine Deutung, aber er legt sie dem Zuschauer gewissermaßen auf die Hand.

Es geht um Natur und Naturzerstörung, Verschmutzung von Pflanzen und Gewässern, die „auch die Herzen verschmutzt“. Im fünften Traum, der van-Gogh-Episode, dringt Kurosawa durch „die Brücke von Langlois“ in die Welt van Goghs ein. Er fragt nach dem Maler - der sei verrückt, antworten die Leute. Kurosawa findet ihn schließlich malend auf einem Kornfeld. Kurosawa möchte ihn über seine Arbeit befragen. Er habe keine Zeit, er müsse zur Natur zurück, sagt van Gogh und verschwindet. Kurosawa folgt ihm und findet ihn wieder. Ob er sich verletzt habe, fragt er van Gogh. „Ich habe ein Selbstporträt gemacht. Das Ohr war so schwer zu malen, darum habe ich's abgeschnitten.“ Das klingt bei Kurosawa völlig plausibel: Van Gogh ist damit der Natur etwas näher gekommen. Ran, hat Kurosawa vor ein paar Jahren gesagt, sei nicht sein Testament. Träume kann man kaum anders verstehen.

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