: Landwirtschaft vorm Eintritt in den EG-Markt
■ Die Agrarwissenschaftliche Gesellschaft der DDR lud zu einer Diskussion nach Leipzig ein / Beifall der Bauern für die Marktwirtschaft
Leipzig (taz) - Die Negativseiten waren am Donnerstag bei der von der Agrarwissenschaftlichen Gesellschaft der DDR organisierten Diskussion um Chance oder Untergang der DDR -Landwirtschaft beim Eintritt in den EG-Markt schnell benannt. Genossenschaften mit riesigen Anbauflächen von bis zu zehntausend Hektar, zu viele Beschäftigte und die Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion entsprächen nicht dem Leitbild westeuropäischer Agrarpolitik.
In einem stehen die DDR-Bauern denen der EG nicht nach: auch sie schwimmen in Milch. Noch vor einem Jahr hätte die Steigerung der Milchleistung um zehn Prozent für das erste Quartal Erfolgsmeldungen in den DDR-Medien hervorgerufen. Diesmal sprach Prof. Hans Schlicht vom Institut für Agrarökonomie von im Inland (geschweige denn Ausland) nicht effektiv absetzbaren Mengen. Der Milchsee ist nach Prof. Schlicht nur durch die Reduzierung des Rinderbestandes um rund fünf Prozent durch Schlachtung oder Aussortierung von Mutterkühen trockenzulegen.
Spätestens nach der Währungsunion kennt der Ostdeutsche Käufer keine Grenzen mehr, um an den durch Werbung schmackhaft gemachten Sahnequark heranzukommen. Bauernproteste hätten, so Schlicht, keinen Erfolg, wenn sie auf „unrealen Forderungen nach Produktabnahme“ beruhen. Prof. Schlicht meinte, es müßten Partner daran interessiert werden, in die Modernisierung vorhandener Nahrungsmittelbetriebe zu investieren, die einheimische Rohstoffe verarbeiten.
In der Pflanzenproduktion wird nach Meinung des Wissenschaftlers die Stillegung von rund einem Viertel der Anbaufläche nicht ausbleiben. Eingestellt werden müßte die unrentable Bewirtschaftung sandiger, leichter Böden. Um die Hälfte werden die Kartoffelfelder schrumpfen. Die brachliegenden Flächen sollten für die „extensive Tierhaltung“ genutzt, als Kulturlandschaft und Erholungsgebiete gepflegt und aufgeforstet werden.
Während der westdeutsche Staatssekretär Gallus in Wahlkampfmanier ein liberales Loblied auf die Marktwirtschaft sang und dafür viel Beifall von den Bauern bekam, gab ein westdeutscher Marketingexperte den ostdeutschen Bauern den Tip, sich im Management zu schulen. Das allein befähige sie, „optimale Produktionsstrukturen“ für die Herstellung „marktfähiger“ Lebensmittel zu entwickeln.
Im Schlußwort äußerte sich Prof. Rotenauer von der Hochschule LPG in Meißen, unzufrieden über die Unschlüssigkeit des Landwirtschaftsministers Kollack. Das am 6.März 1990 angenommene Gesetz über den Kauf volkseigener Flächen käme nicht zur Anwendung, weil angeblich die Durchführungsbestimmungen nicht erlassen werden könnten. Ungekärt ist die Frage, wie die Genossenschaften von insgesamt vierzehn Milliarden Mark Schulden, verursacht durch zentral angeordnete Investitionen und Strukturveränderungen entlastet werden sollen. Der Haushaltsplan 1990 liegt dafür ganze vierhundert Millionen Mark vor.
Irina Grabowski
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