piwik no script img

GESCHMOLZENER CHESTER

■ „Society“ - die schwabbelnde Oberschicht im Kino

Inzest, Kannibalismus und sexuelle Abartigkeiten kommen immer gut, um der stinkreichen Oberschicht ans feine Hosenbein zu pissen und fiese Gemeinheiten ins Dekollete zu kotzen. Etwas aufgefrischter De Sade und der schöne Schauder machtgeil-verdorbener Grausamkeiten verfehlen da nie ihre Wirkung. Aber ein Jahrhundertfilm wie Pasolinis 120 Tage von Sodom entsteht nicht automatisch durch das Provozieren von Ekelgefühlen und Brechreizen. Einen wirklich überzeugenden Horrorfilm zu machen, der gleichermaßen harsche Geselschaftskritik mit rausquellenden Eingeweiden und lobotimierten Schädeln kombiniert, ist an sich kein leichtes Unterfangen. Zu schnell und leichtfertig werden in der Regel mögliche Ansätze zur Subversion den blutigen, effekthaschenden Gesetzmäßigkeiten des Horror-Genres geopfert.

Auch Brian Yuzna versteht es nicht, mit Society diese Kurve zu kratzen, doch ist ihm der Karren gleich aus verschiedenen Gründen entgleist. Mord, Perversionen und grausame Todesrituale sind ihm augescheinlich nicht Horror genug. Den Schrecken ins Phantastische gesteigert, verschenkt er die Thematik seines Films überflüssigerweise an den verstaubten Aufhänger einer außerirdischen, nicht -menschlichen Rasse, die diesmal als die schicke Saubande von Beverly Hills droht, die Welt zu unterjochen. Daß die Society ihr parasitäres Müßiggänger-Dasein dabei untereinander mit wilden, zügellosen Mutationen versüßt, ist dabei ein noch gelungener Einfall, der zumindest das letzte Drittel des Films über die Bühne rettet, auf der es zum finalen Fleischgetümmel zwischen den Alptraumgestalten des Hieronymus Bosch und dem Schmelzfigurenkabinett des Herrn Dali kommt. Die Schmarotzer aus Hollywood saugen förmlich die Körper ihrer Opfer aus, per Kopfsprung tauchen sie in Fleisch und Eingeweide wie in eine Portion Chester, ein klebriger Körperglibber, in dem sie sich ekstatisch vereinigen. Screaming Mad George, verantwortlich für diese Special-Effekts, hat sich mit dieser Effektorgie redlich einen abgemüht, aber die finstere Gesellschaft als ein einziger sabbelnder, schwabbelnder Organismus wirkt eher als ein greller Comic denn nervenstrapazierender Horror. Ausgetrickst hatte sich Yuzna selbst durch die erste Stunde des Films, in der er sich sinnlos in einer blöden Teeniestory verheddert; dadurch findet er erst gar nicht das nötige Gleichgewicht für eine Balance zwischen phantastischem Horror und Realität. Viel zu durchsichtig ist gleich zu merken, daß die Paranoiaschübe des unschuldigen Highschool-Buben ihre Ursache in dem perversen Treiben seiner Familie und dem dazugehörigen Clan haben, deren Machenschaften meilenweit gegen den Wind stinken. Was bleibt, ist abzuwarten, aber da passiert zu lange einfach nichts und weder Atmosphäre noch die Story überbrücken diesen Leerlauf.

Einige hübsche Kleinigkeiten bleiben aber doch bei Yuznas Regiedebüt, der sich bisher als Produzent von Stuart Gordon (Re-Animator) einen guten Namen gemacht hat, in Erinnerung. Da kann man sich an einem gelungenen, widerlichen Arschgesicht erfreuen oder eine wunderbare Pfundsfrau, die Leute die Haare vom Kopf frißt und wie eine Katze wieder auswürgt, als Schwiegermutter wünschen. Schlecht ist auch nicht die Frage nach der geilen Liebesnacht: „Wie möchtest Du Deinen Tee? Mit Milch, oder soll ich reinpinkeln?“ Böser Humor, der die Seele frühjahrsputzt und ein bißchen gut dosierte Perversion können nie schaden.

doa

Ab heute bis 17. Mai im Sputnik Wedding, 21. bis 24. Mai im Eiszeit (Originalfassung).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen