piwik no script img

VOM VERLUST DES GELB

■ Die Compagnie de Danse Hallett Eghayan eröffnete das Festival „Pantomime - Musik - Tanztheater 1990“

Gelb beginnt. Schnell verlöscht das sphärische Blau hinter der schräg laufenden Bühnenwand. Den TänzerInnen bleibt ein Trapez, das in scheinbar unendliche Tiefen zu führen scheint. Derweil schwillt aus den vier großen Boxen rechts und links des Parketts im Studio der Akademie der Künste fernes Glockenläuten an, bis es sich in einem synthetischen Klang-Environment wiederfindet, zu dem Gelb im matt schimmernden, hautengen Anzug die ersten Schritte auf der Diagonale von links vorn nach rechts hinten setzt.

Gelb ist nur ein Teil des Ensembles, das den Farbkreis mit seinen drei Grund- und ihren Komplementärfarben darstellt. Die sechs TänzerInnen, Mitglieder der Compagnie de Danse Hallett Eghayan aus Lyon, eröffneten am Freitag die Reihe „Pantomime - Musik - Tanztheater 1990“ in der Akademie der Künste, die von hier aus nach dem 27.Mai von Lübeck bis nach München ziehen wird. Die Münchner Gruppe „Tanztendenz“ hatte die Idee gehabt, die zahlreichen Tanz- und Tanztheatergruppen der freien Szene in der Bundesrepublik auf einem wandernden Festival vorzustellen. Von folkwanggeschulten Solisten bis zu Butoh-Ensemblen soll ein Überblick gegeben werden, was sich in grob zehn Jahren alles aus der Befreiung von der romantischen Fessel heraustanzen konnte.

Zu Gast geladen ist neben der 1977 gegründeten Compagnie de Danse Hallett Eghayan aus Frankreich noch die amerikanische Kompagnie Zero Moving, damit sie die Brücke zu den klassischen Traditionen schlügen. Michel Hallett Eghayan läßt die 26. Aufführung des Ensembles, „Hommage a Kandinsky“, mit der zentralen Farbe des Malers beginnen, über die der Künstler geäußert hatte, daß sie bis zur Aufdringlichkeit an den Menschen heranstrebe.

Das erste Gelb der Aufführung aus den Entwürfen von Michelle Bacconier und Hallett Eghayan selber entspricht dem „mittleren Gelb“ Kandinskys, von dem Wärme und Anmut ausgehe. Zu Gelb gesellen sich die restlichen Farben. Paare formieren sich. Meist sind es Grund- und Komplementärfarbe, die parallel Linien ziehen, sich in die Arme sinken. Immer wieder laufen sie zu der sich langsam an Strawinsky-ähnliche Eruptionen heranrollenden Musik Jean Christoph Deserts ins „Bild“ hinein, formieren sich an einem Zentrum im linken unteren Viertel der Bühne, um von dort wie von Zentrifugalkraft geschleudert wieder herauszukreisen. Ruhig konzentriert zügelt die Gruppe die Explosionskraft der Linien und schöpft ganz aus dem „inneren Klag der Dinge“. Die Diagonale, die chronisch auf allen Kandinsky-Bildern in dieser oder jener Variation nach rechts oben hinaus strebt, bildet die meist betanzte Achse, auf der mit Elementen des klassischen Balletts Kreise und Bögen geformt wurden - in der ganzen Gruppe, zu zweit, allein nur mit dem Arm oder einem Bein. Während Blau in Soli größten Charmes schon Zukünftiges andeutet, verwandelt sich Gelb noch zu Goldgelb, in die Farbe von Blüte, Üppigkeit und Überfluß.

Kandinsky mußte es sein. Seinen Lieblingsmaler schätzt der Choreograph nicht allein wegen seiner Bilder, sondern auch wegen seines Drangs, an allen Stationen seines Lebenswegs Schulen und Gruppen zu gründen, und zu malen, zu malen, auch wenn die Nationalsozialisten Paris besetzt hielten: „Kandinsky setzt unermüdlich die unerschöpfliche Kraft seiner Kreation gegen die Kräfte der Destruktion.“ Vor allem ist Hallett Eghayan aber überzeugt, daß Kandinskys Werk den Tanz „fördern und ihm künstlerische Perspektiven eröffnen kann“. So widmet er den zweiten Teil der Hommage der Biographie des Malers. Die Umkehrung der Diagonale kündigt den Umschlag an - die Linie von links hinten nach rechts vorn zerstört die behagliche Harmonie der Bild -/Bühnenkomposition.

„Wenn man versucht, Gelb (diese typische warme Farbe) kälter zu bekommen, so bekommt es einen grünlichen Ton“, überlegte Kandinsky einst. „Es bekommt dadurch einen etwas kränklichen und übersinnlichen Charakter, wie ein Mensch voller Streben und Energie, welcher durch äußere Zustände in diesem Streben und der Anwendung seiner Energie behindert wird.“ Das Bühnenlicht schlägt um, wird gelblich und fahl, und TänzerInnen in farblosen Farben erobern die Bühne. Blau, Wahrheit und Treue, wird abtransportiert und mit ihm Hallett Eghayans Schöpfen aus dem Abstrakten. An die Stelle treten jäh schnelle Bösewichter: Eine Horde safarigelb gekleideter, in sattsam bekannt angedeuteter Verquickung von Militär und SM gegürteter Uniformierter scharen sich um einen noch Böseren in Schwarz, tanzen im Gleichmarsch, bis sie sich selbst erledigt haben.

Der Rest Pathos. Kandinsky starb 1944, als im Krieg Blau die Farbe von Paris wurde. In der Akademie der Künste taucht die Bühne zu getragenem Frauengesang zurück in die Farbe des göttlichen Himmels und der Unendlichkeit. Silhouetten, in den hautengen Anzügen auf das Nacktemenschsein reduziert, stehen bewegt still, bis der Applaus beginnt.

Claudia Wahjudi

Die Reihe wird fortgesetzt am Montag, 14. Mai um 20 Uhr mit dem Tanztheater Christine Brünel aus Essen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen