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Saltadoros

■ Michalis Jenitsaris und die Rebetika der Okkupation. Ein griechischen Volkssänger aufTournee durch die Bundesrepublik

Sie gucken scheel, im Seidenhemd

sehn sie mich gar nicht gern

wenn ich ein armer Teufel wär

wär's lieber diesen Herrn.

Refrain:

Ich springe auf, ich springe auf

Reserveräder klau ich zum Verkauf.

Ich spring auf deutsche LKW's

dann zieh ich schnellstens Leine.

Ich schlag mich immer bestens durch

und falle auf die Beine.

(Refrain)

Kanister Diesel und Benzin

darauf sind wir versessen

die bringen eine Menge Kies

das Geld, das wird verfressen.

(Refrain)

Die Deutschen sind uns hinterher

doch wir sind nicht zu fassen

und gingen wir auch dabei drauf

wir können es nicht lassen.

Dieses Lied von den Saltadori, jenen flinken Griechen, die den deutschen Besatzern zwischen 1941 und '44 auf die Lkw-Ladefläche sprangen und klauten, was nicht niet- und nagelfest war: Reservereifen und Benzinkanister vor allem, und die sich einen Lenz machten in einer Zeit allgemeinen Elends, sang zur Bouzouki der heute 73 Jahre alte Rebetiko-Musiker Michalis Jenitsaris vorletzte Woche bei der Eröffnung der Duisburger Akzente. Einige Deutsche fanden das durchaus deplaziert und ungehörig, der eine oder andere Grieche ebenso - eine Provokation bei diesem feinen Anlaß. Aber die meisten hatten ihren Spaß und nichts dagegen.

In Griechenland war bis in die sechziger Jahre das ganze Genre dieser städtischen Folklore namens Rebetiko verpönt, beim Bürgertum ebenso wie beim klassenbewußten Arbeiter. Die Rebetiko-Musik stammt aus einem anrüchigen Milieu, mit dem die griechische Linke nichts im Sinn hatte, und so hatte die Kommunistische Partei nach dem Krieg kategorisch erklärt, daß diese Sumpfblüte aus der lumpenproletarischen Szene der Taschendiebe, Gauner und Zocker, mit ihrem Fatalismus und ihrer klagenden Larmoyanz, dem Klassenbewußtsein der Arbeiter abträglich sei. Aber dieser Bannfluch war eigentlich überflüssig, denn die Lokale, in denen diese anrüchige Musik (begleitet von dem später so populären Instrument Bouzouki) dargeboten wurde, waren ohnehin so teuer, daß ein Arbeiter sich einen Besuch dort gar nicht leisten konnte. Schwarzhändler und Schieber sah man dort eher, Spekulanten, Luden, Haschischdealer und andere Halbwelttypen, und die Musik, die sie sich dort anhörten, handelte denn auch oft vom Leben in dieser Szene.

Doch seit den sechziger Jahren verhalf die Kommerzialisierung dieser Untergrundmusik schließlich doch zu massenhafter Verbreitung und großer Popularität. Nicht wenig dazu beigetragen hat der Komponist Manos Hadjidakis, der den ursprünglichen musikalischen Reiz dieser Lieder für sich entdeckt und eine Reihe Klaviervariationen zu einigen der bekanntesten Rebetika geschrieben und aufgenommen hat. Damit waren die Rebetika zum Bestandteil des nationalen Kulturerbes erklärt und hoffähig geworden, befreit aus dem Ghetto der Marginalität. Und als dann wenig später Mikis Theodorakis das mit den Rebetika aufs engste verbundene und deshalb ebenso verrufene InstrumentBouzouki bei der Vertonung eines poetischen Heiligtums der griechischen Linken, dem Ritsos-Gedichtzyklus Epitaphios einsetzte, war die verruchte Rebetiko-Musik auch für die Linke schon bald keine verbotene Frucht mehr. Die letzten noch lebenden Schöpfer des ursprünglichen Rebetiko wurden darüber fast vergessen, auch Michalis Jenitsaris, der in den dreißiger Jahren seine ersten Lieder gemacht hatte.

Er hat, wie alle Rebetes, vor allem die klassischen Themen der Liedgattung behandelt - er sang vom Leben im Gefängnis, vom täglichen Kleinkrieg der Haschischraucher mit der Polizei, von der unglücklichen Liebe zu treulosen Mätressen. Er hat aber, in den vierziger Jahren, in seinen Liedern auch Geschichten erzählt, die fast alle Athener in der einen oder anderen Weise direkt angingen. Da ging es um die Schrecken des Krieges und der Nazibesatzung, um den Hunger und den Schwarzhandel, zu dem die Umstände fast alle zwangen. Es ging auch um die, die an der Okkupation verdienten und ihren Schnitt machten mit dem Elend der anderen, und es ging schließlich um den antifaschistischen Widerstand und die Kollaborateure der Deutschen.

Jetzt ist der 73jährige Jenitsaris (zum zweiten Mal übrigens) auf Tournee in der Bundesrepublik, und man kann ihn mit einigen dieser Lieder hören, die die Deutschen ja sehr direkt angehen. Zusammen mit der Frankfurter Bouzouki -Gruppe Prosechos erzählt er dem deutschen Publikum in seinen Liedern von Not und Elend im Hellas unterm Hakenkreuz. Jenitsaris war und ist, wohlgemerkt, ein eher unpolitischer Zeitgenosse. Er blieb zeitlebens, was er von Anfang an gewesen ist: ein typischer Vertreter des kleinbürgerlich-proletarischen Milieus, in dem er, imAjia Sofia-Viertel von Piräus aufgewachsen war, hat in den Markthallen mit Obst und Gemüse gehandelt, später eine kleine Weinkellerei aufgemacht. Er war auch selber nicht in der Resistance aktiv. Sein Interesse galt dem Bouzouki -Spiel, das er von dem Altmeister Batis erlernt hatte. Aber er hatte stets ein empfindliches Gespür für die Zeitläufe und für das, was die kleinen Leute in seiner Umgebung bewegte, und er hat auch daraus den Stoff für seine Lieder genommen. Und als Nazi-Deutschland über Griechenland herfiel, da war eben auch die Besatzung mit ihren alltäglichen Folgen für ihn höchst selbstverständlich ein Thema. Der Schwarzhandel zum Beispiel:

Schwarzhandel ist für groß und klein

für alle jetzt die Masche.

Die Schieber ziehen aller Welt

die Drachmen aus der Tasche.

Und auch die Frauen sind dabei

am schwarzen Markt zugange

Taschen und Säcke in der Hand

genieren sich nicht lange.

Das Häuschen haben wir verkauft

und was wir sonst besessen

für zwei Oliven, ein Stück Brot

die Kinder wollen essen.

Den Deutschen als den eigentlichen Verursachern des Massenelends in Griechenland - allein im Winter 1941/42 verhungerten Hunderttausende - fiel nichts Besseres ein, als hier und da unter den Schwarzhändlern ein Exempel zu statuieren, bis hin zur öffentlichen Exekution erwischter Schieber. Was den Hunger nicht beseitigte, aber den Besatzern das beruhigende Gefühl vermittelte, etwas für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung getan zu haben. Eine dieser Hinrichtungen (zwei Ladhadhes, Olivenölhändler, wurden auf einem zentralen Platz öffentlich gehenkt) nahm Jenitsaris zum Anlaß, das folgende Lied im Stil einer Moritat zu schreiben:

Die Händler auf dem Schwarzen Markt

sie sollten's lassen lieber

sie werden sonst noch aufgehängt

wie jene beiden Schieber.

Am Platz, an dem Laternenpfahl

da hängten sie die Leute

Die Deutschen sind erbarmungslos

ich denk‘ daran noch heute.

Ihr andern aber habt bloß acht

nehmt ernst nur meine Worte

sonst hängen sie am End noch auf

auch euch, am selben Orte.

In einem seiner Lieder aus der Besatzungszeit hat der Rebetis Michalis Jenitsaris, und das war durchaus unüblich bei Liedermachern dieser Schule, sich direkt politisch engagiert und einen Helden der Resistance besungen, der 1943 im Vorort Ajios Joannis Rendis von Tagmatasphalites (zu deutsch: Sicherheitsbrigadisten, griechische Hilfstruppen der SS) gefangengenommen und nach schrecklichen Foltern umgebracht worden war. Der erst 19jährige Stelios Kardaras stammte aus der Nachbarschaft von Michalis Jenitsaris, aus Ajia Sofia, und die Nachricht von seiner Ermordung brachte das ganze Viertel in Aufruhr. Jenitsaris hat ihm 1944 darum dieses Lied gewidmet:

Trauer trägt Ajia Sofia

und auch ganz Nea Kokkinia

weint alle und vernehmt die Kunde

sie faßten Stelios, diese Hunde.

In Rendi stellten sie ihm nach

die Deutschen-Freunde, welche Schmach

die Nazi-Brigadisten-Bande

erwischte Stelios, welche Schande.

Gefesselt war er auf der Stelle

nach Ai Dionyssis in die Zelle

zur Exekution gebracht

zehn Schüsse haben dort gekracht.

Welch Unrecht, daß man uns erschossen

Kardaras, unseren Genossen

weil er gekämpft im Widerstand

verflucht sei seines Mörders Hand.

Jenitsaris schreibt und komponiert noch heute seine kleinen, oft etwas unbeholfenen Lieder, Zeitloses und Zeitgemäßes. Da kommen die Kamakia ebenso vor (jene Jung-Machos, die an den Stränden der Ägäis die Touristinnen aus dem Norden anmachen) wie die unfähigen Politiker mit ihren uneingelösten Wahlversprechungen. Naive Zeitgedichte, zum Bouzouki gesungen. Sie sind allerdings längst nicht mehr so populär wie seine Lieder aus der Zeit der Okkupation, wie das Lied von den Saltadori, das in den vierziger Jahren bei den Amerika-Griechen ein Hit wurde, nachdem ein Sänger namens Jorgos Katsaros sich das Lied angeeignet und auf Platte in Umlauf gebracht hatte. In Griechenland konnten die Saltadori (wie auch die meisten anderen seiner Lieder aus der Besatzungszeit) erst viele Jahre nach ihrer Entstehung auf Schallplatte verbreitet werden. Die Zensur hat bis in die 70er Jahre keine Anspielungen auf die Besatzungszeit durchgehen lassen, und dies nicht nur deshalb, weil Teile des griechischen Bürgertums mit den Nazis kollaboriert hatten; in dem Bürgerkrieg, der der Nazi -Okkupation folgte, hatte die Mehrzahl der griechischen Resistance-Kämpfer auf Seiten der Kommunisten um die Macht gekämpft und verloren, Anlaß für die herrschende Rechte, die Resistance insgesamt jahrzehntelang zu kriminalisieren. Erst in der Regierungszeit der PASOK wurde der antifaschistische Widerstand rehabilitiert, und einige Lieder von Michalis Jenitsaris wurden so erst in den 70ern einem größeren Publikum bekannt, als der populäre Sänger Jorgis Dalaras sie in sein Repertoire aufnahm und auf diese Weise dem fast vergessenen Schöpfer der Rebetika der Okkupation zu spätem Ruhm verhalf.

Eberhard Rondholz

Tournee-Daten:

13.5.: München, 14.5.: Hamburg, 16.5.: Wuppertal, 17.5.: Bremen, 18.5.: Köln, 20.5.: Essen

Diskographie:

Michalis Jenitsaris: Rebetikes omorphies. Minos MSM 522; ders.: Rebetiki Dalgades. Sonora TC-SNR 1256; ders.: Xenichti, zaria ke charti. Verginia Fon VF 5383.

Jorgos Dalaras: Rebetika tis katochis. Minos DAL-MSM 391

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