: 2 GROSSE STUNDEN
■ Mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Theater und Politik“ ging am Sonnabend das „Off-Moskau„-Theaterfestival in der Theatermanufaktur zu Ende
„Der Mensch“, schrieb einer unserer Philosophen, ein gewisser Rosanow, „ist so beschaffen, daß er das Überflüssige liebt. Er hat also eine Art eingeborenen Hang zum Luxus. Dazu gehört selbstverständlich auch die Kunst. Nun kann man ja sagen, daß die Kunst zu den weniger schädlichen Überflüssen zu rechnen ist, aber wenn Sie nun die Situation bedenken, die hier in Berlin auf Sie zukommt, werden auch Sie sich eines Tages die Frage stellen: Bauen wir nun ein Theater oder ein Krankenhaus?“
Von dieser Art Philosophie, vorgetragen von dem russischen Kritiker Michael Shvydkoi, wollte man allerdings von gesamtdeutscher Seite an diesem Abend nichts wissen. Eine solche Frage, so der einhellige Einwand der Vertreter zukünftig großdeutscher Staatstheater, sei schon als Frage vollkommen falsch gestellt. Trotzdem fühle sich die deutsche Kunstseele von der Krankenhausdebatte offenbar dermaßen empfindlich betroffen, daß es den ganzen Abend nicht mehr so recht gelingen wollte, von diesem Roß herunterzukommen. Aber gerade so (obwohl von russischer Seite wohl vollkommen unbeabsichtigt) war der ideale Einstieg in das Lieblingsthema der Staatstheaterbeamten gefunden: die Subventionsmisere! Daß es eine Schande sei, wiederholte Iwan Nagel, in welcher Art und Weise man sich für Subventionen rechtfertigen müsse, würden doch absuuurderweise immer noch Riesensummen für... (genau: RÜSTUNG!) ausgegeben (oohh, buzzi buzzi buzzi... sezza). Dabei sei doch Theater wichtig wie Brot (verschimmeltes? sezza). Da das auch Thomas Langhoff fand, verwies die Moderatorin Lea Rosh auf die Gunst der Stunde (die Radioübertragung), und alles rief in hellem Chor in die Mikrophone: Wir wollen Geld (ich auch. sezza)!!
Während Heiner Müller noch mit mittelmäßigen Anekdoten das Publikum zu zerstreuen suchte, fuhr man fort im Austausch von Ängsten und Sorgen über die zukünftige Entwicklung deutschen Staatstheaters, den Alptraum von der Teilung von Subventionen zwischen Schaubühne und Deutschem Theater und dem möglichen Verlust des Weltruhms der Theaterstadt Berlin. (Wer, wenn nicht wir, kann die Drehscheibe zwischen Ost und West werden!) Hochbrisante und, wie man sieht, hochpolitische Fragen in einer Diskussion, zu der ursprünglich im Rahmen eines OFF-Festivals geladen war, eine Tatsache, die hinfällig wurde, weil man erstens einfach keine Off-Theater-Vertreter geladen hatte und weil zweitens kaum einer der Anwesenden eine der sowjetischen Produktionen gesehen hatte.
Deshalb nahm es auch nicht weiter wunder, daß nach einer quasiparitätischen Vorstellungsrunde durch Lea Rosh ein tiefes Schweigen auf der sowjetischen Seite ausbrach, bis die Moderatorin, von einem plötzlichen Schuldbewußtsein gepackt, Fragen an die „sowjetischen Gäste“ richtete, von der Art: „Nun, und wie sehen Sie die Zukunft des sowjetischen Theaters?“ Zumindest doch noch eine Gelegenheit für die „Gäste“, ihre Verblüffung darüber zu äußern, daß hier statt über Theater und Politik nur über Politökonomie geredet würde (politökonomie? egoökonomie! sezza). Geld sei nicht ihr Hauptproblem, ganz abgesehen davon, daß das Interesse am Theater in den letzten Jahren in der Sowjetunion merklich zurückgegangen sei. Endlich, so Shvydkoi, ist die Politik da, wo sie hingehört: auf den Straßen, in den Zeitungen, im Fernsehen. Die Leute holen sich die Informationen lieber direkt von der Quelle. Die sogenannte Perestroika sei ja, er erlaube sich mal diese romantische Metapher, das eigentliche Stück, das derzeit inszeniert werde, und der Sowjetbürger fühle sich als tragischer Protagonist in diesem Drama. Wozu sollte er sich noch auf die Seite einer kleinen Theatergemeinde schlagen, die versuchte, die Jahre der Zensur mit Hilfe inszenierter Geheimcodes zu überdauern? Da mußte Theatermanufakturverwalter Zonschitz aber doch einen kleinen, schon lang gehegten Vorwurf an seine sowjetischen Kollegen loswerden: Gerade jetzt, wo alles so wunderbar schön im Umbruch sei, alles denkbar, alles sagbar, alles machbar (aber nichts eßbar!!), habe die große Stunde der Künstler geschlagen, leider hätten sie bis dato die große Chance der Einmischung und Artikulation nicht hinreichend genutzt (mir kommt's kotzen. sezza)!
Dank solch geballter Ahnungslosigkeit und Naivität ließ sich an diesem Abend die Hoffnung auf einen sogenannten Dialog rasch und mühelos begraben, allzu offenkundig war die Priorität der eigenen Interessenvertretungen, was die Moderatorin zu dem geschickt lancierten Positivresümee veranlaßte, an solchen Mißverständnissen mache sich letztlich deutlich, wie wichtig und gut solche Zusammenkünfte und Gespräche doch seien. Tatsächlich scheinen sie eher hinfällig, denn wer könnte schon kompetent über beschleunigte Verhältnisse diskutieren. Der Autor Viktor Korkija zumindest brachte die nötige Bescheidenheit auf, indem er auf die Frage, wie es denn derzeit in der Sowjetunion bestellt sei, antwortete: „Das fragen Sie mich? Wie soll ich denn das wissen, ich war doch schon seit drei Wochen nicht mehr da!!“
Felicitas Hoppe
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