: Wo kein Wille ist, ist auch ein Weg
Polens Unterhaltsrecht bietet den Vätern vielfältige Möglichkeiten, sich um die Alimente zu drücken / Festbeträge für den Unterhalt frißt die Inflation / Nur selten werden prozentuale Regelungen getroffen / Die Familienrichter haben eine Flut von Prozessen zu bewältigen / Vom Staat haben alleinstehende Mütter kaum etwas zu erwarten ■ Von Klaus Bachmann
„Mein geschiedener Mann ist Polizist, verdient ganz gut, zahlt aber keinerlei Alimente für unsere Tochter, weil er sich von seinem Arbeitgeber eine Bescheinigung besorgt hat, aus der hervorgeht, daß er berufsunfähig und nicht zurechnungsfähig ist“, schrieb eine Frau aus dem Norden Polens an das polnische Fernsehen. Der Sender zeigte einen Bericht über die Familie: Die Frau geht arbeiten, ihre Eltern haben die Erziehung der elfjährigen Tochter übernommen.
Solche Methoden geschiedener Männer, sich um die Alimente zu drücken, sind in Polen keine Seltenheit. Selbst wenn der Polizist nicht zu illegalen Mitteln gegriffen hätte - viel hätte er ohnehin nicht zu bezahlen brauchen. Denn Polens Scheidungs- und Unterhaltsrecht bietet den Männern eine Menge reizvoller Möglichkeiten.
40 Prozent Inflation im Monat
Es sind in der Regel die Männer, die zur Unterhaltszahlung verpflichtet werden, da in fast allen Scheidungsfällen die Frauen die Kinder zugesprochen bekommen. Das Gericht berücksichtigt bei seinem Urteil das Einkommen des Mannes einerseits, das der Frau und die Bedürfnisse des Kindes andererseits. Sodann wird eine monatlich zu entrichtende Summe festgelegt. Soweit, so gut. Wenn die Inflation nicht wäre, die monatlich zur Zeit über 40 Prozent beträgt.
So kam es etwa zu folgendem Fall: Vor mehreren Jahren bekam ein Kind 10.000 Zloty zugesprochen, was damals etwa einem Viertel des Durchschnittseinkommens entsprach. Die Höhe des Unterhalts wurde nie geändert, weil die Frau keinen Antrag stellte. So bekommt sie auch heute noch 10.000 Zloty, obwohl ihr früherer Mann bereits mehr als zehnmal soviel verdient wie damals. Konnte sie für 10.000 Zloty vor einigen Jahren noch den gesamten Nahrungsmittelbedarf ihres Kindes decken, so reicht es jetzt gerade noch für einige Flaschen Vollmilch.
Selber schuld, sagen da manche Juristen, sie hätte ja wieder vor Gericht ziehen können. Das ist zwar richtig, denn selbstverständlich kann das Gericht auf Antrag die Alimente der neuen Lage anpassen, doch bedeutet dies nicht nur Anwaltskosten, Gerichtskosten und jede Menge bürokratischen Aufwand, sondern vor allem auch die Anwesenheit des Mannes. Und geschiedene Ehemänner haben in Polen mancherlei Möglichkeiten, solche Termine erst einmal nicht wahrzunehmen.
Viermal im Jahr vor den Familienrichter?
Da das Postsystem bekanntlich mehr schlecht als recht funktioniert, kann man jederzeit behaupten, der Einschreibebrief mit der Vorladung sei nicht angekommen. Hinzu kommt, daß viele Menschen in Polen gar nicht dort wohnen, wo sie gemeldet sind, und nicht dort angemeldet sind, wo sie wohnen. Und wenn der Ehemann nach dem ersten Prozeß den Betrieb gewechselt hat, kann das Gericht auch seinen Arbeitsplatz nicht mehr feststellen. Im Zweifelsfall obliegt es dann der Mutter, den zahlungsunwilligen Vater erst einmal aufzutreiben. Doch selbst wenn das gelungen ist, wird es ihm nicht schwerfallen, ein Attest vorzulegen, aus dem hervorgeht'daß er krank ist und nicht erscheinen kann. Dann wird ein neuer Termin einberaumt und die Zeit vergeht, und die Inflation nagt weiter an den Alimenten.
Auch wenn es zu einer Verhandlung kommt, kann sich immer noch herausstellen - auf dem Papier wenigstens -, daß der säumige Ehemann völlig verarmt ist. Im Falle des Polizisten mußte das Gericht erst einen Strauß mit dem Innenministerium ausfechten, weil aus der Gehaltsbescheinigung des Mannes nicht hervorging, wieviel er tatsächlich verdiente. Angegeben war nur das Nettogehalt, nicht aber die Spesen, Essenzuschläge, Fahrtkostenerstattung, zinslose Darlehen für Wohnungsrenovierung und allerhand mehr. Kein Wunder, daß viele Frauen davon Abstand nehmen, ihre Ansprüche bzw. die ihrer Kinder gerichtlich einzuklagen.
Diejenigen allerdings, die es dennoch tun, haben es nun geschafft, daß die Gerichte mehr und mehr Verständnis für diese Problematik zeigen - aus purem Eigeninteresse: Da sich aufgrund der Inflation die Bemessungsgrundlagen für die Zahlungen praktisch monatlich ändern, stehen Polens Familienrichter vor einer Prozeßlawine. Manche Frauen bringen den Vater ihrer Kinder bis zu viermal pro Jahr vor den Kadi. Was den Richtern den Schweiß auf die Stirn treibt und lange Schlangen vor den Gerichtssälen verursacht.
Auch Vater Staat ist ein Drückeberger
Auf die Idee, einfach prozentuale Alimentzahlungen zu verhängen, die sich der Inflation automatisch anpassen, ist bislang allerdings nur eine Minderheit unter den Juristen gekommen. Der Scheidungsexperte Tadeusz Smyczynski von der Polnischen Akademie der Wissenschaften hat sogar einen Standardkatalog von Unterhaltsansprüchen erarbeitet, der den Richtern die Arbeit erleichtern soll. Nur wenige machen bislang davon Gebrauch. Prozentuale Alimente kommen nur in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor, im Scheidungs- und Unterhaltsrecht sind sie nicht vorgesehen. Außerdem, meint etwa ein Familienrichter, hätten viele Kollegen eine Abneigung gegen diese Methode. Es sei daher besser, die prozentuale Regelung gesetzlich festzuschreiben. Sollte sich dann in Einzelfällen erweisen, daß ein Vater überfordert sei, so müsse er sich eben ans Gericht wenden. Auf diese Weise hätte die Drückebergerei mit falschen Meldezetteln und plötzlichen Erkrankungen bald ein Ende und auch die Richter würden entlastet.
Smyczynski schlägt weiter vor, einen Altersindex einzuführen, um festzulegen, wie die Alimente mit dem Alter und den Bedürfnissen des Kindes steigen sollen. Inzwischen herrscht Einigkeit darüber, daß in dieser Richtung etwas geschehen muß. 1,5 Millionen Kinder wachsen nur bei der Mutter auf, in jeder siebten vaterlosen Familie gibt es mehrere Kinder. Und bis jetzt leben immerhin acht Prozent dieser Familien unterhalb der in Polen ohnehin nicht besonders hoch angesetzten Armutsgrenze. 115.000 Personen erhalten Sozialhilfezuschüsse aus einem Alimentenfonds, weil die Väter entweder zu wenig oder gar nichts zahlen. Diese Beihilfe beträgt zur Zeit durchschnittlich 13.000 Zloty dafür bekommt man gerade ein halbes Kilo Schinken. Wie man sieht, ist auch Vater Staat ein Drückeberger.
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