„Ab sofort zählen nur noch Taten“

Nach dem ersten Jahr sozialdemokratisch-ökologischer Koalition in Frankfurt am Main ist Ernüchterung eingetreten / Müll- und Verkehrsprobleme belasten das politische Klima / Stadtentwicklung bleibt Thema des Dauerkonflikts  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt hat die rot-grüne Frankfurter Stadtregierung das erste Jahr überstanden. Daß sich die schwelenden Konflikte zwischen den Koalitionspartnern SPD und Grüne nicht zu politischen Sprengsätzen entwickeln konnten, lag dabei weniger an der vielbeschworenen „neuen politischen Kultur“, die im Rathaus hätte Einzug halten sollen, sondern an dem stillschweigend von allen Koalitionären akzeptierten Konzept demonstrativer Untätigkeit, frei nach dem Motto: Wer nichts macht, macht auch keine Fehler.

In 'Stichwort:grün‘, dem parteieigenen Mitteilungsblatt der hessischen Grünen, klatschte die Basis denn auch demonstrativ giftigen Beifall, weil es dem grünen Frankfurter Fraktionsgeschäftsführer Lutz Sikorski Mitte April tatsächlich gelungen war, eine Busspur auf der Friedberger Landstraße als „reale Möglichkeit“ ins Auge zu fassen. Die Kritik an dem anderen verkehrspolitischen Highlight der ersten zwölf Monate, dem sogenannten Umweltticket des Frankfurter Verkehrsverbundes, halten die rot-grünen Koalitionäre für überzogen. Allerdings geben sie zu, daß der gewünschte Effekt, nämlich die Umschichtung der Pendler von der Straße auf die Schiene, nicht eingetreten ist: Das Ticket hat außerhalb der Stadtzone keine Gültigkeit und ist deshalb für die meisten Pendler keine reale Alternative.

Zuckerstückchen

gegen Resignation

Damit der Frust bei denen, die im März 1989 auf Rot-Grün setzten und die sich heute sitzengelassen fühlen, nicht in Resignation umschlägt, werfen die Koalitionäre rasch sich auflösende „Zuckerstückchen“ in die murrende Menge. Um die Frankfurter Innenstadt wenigstens von einem Verkehrskollaps zu entlasten, kündigte der Umweltdezernent Tom Koenigs (Grüne) öffentlich die Verlagerung der Internationalen Automobilausstellung (IAA) nach dem noch von der US-Army benutzten Hubschrauberflugplatz Erbenheim bei Wiesbaden an. Koenigs bekam für diesen Vorstoß von seinem Koalitionschef, dem Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD), sofort einen kräftigen Rüffel. Hauff hatte sich Erbenheim längst im Verein mit der mächtigen Frankfurter Flug hafen AG (FAG) als Privatflug hafen für die Banker und Wirt schaftskapitäne der Stadt aus geguckt.

Was in Frankfurt machbar ist und was nicht, weiß Hauff spätestens seit dem Sommer des vergangenen Jahres. Da nämlich verschwanden die gigantischen Pläne aus den Koalitionsvereinbarungen für den Umbau der City zum „urbanen Lebensraum“, die in dem Entwurf einer „autofreien Innenstadt“ gipfelten, in den Schubladen: Die IHK hatte im Auftrag der Geschäftsleute auf der teuersten Einkaufsmeile Europas, der Zeil, laut gegen das Projekt angehustet. Eine an den schwächsten Verkehrsteilnehmern und an ökologischen Maximen orientierte Verkehrspolitik ist in der Mainmetropole offenbar nicht durchsetzbar. Genau das streitet Lutz Sikorski ab. Die Idee der autofreien Innenstadt sei vor Jahresfrist auch deshalb nicht realisiert worden, weil kein umsetzbares Gesamtkonzept dafür vorlag. Heute dagegen durchstreife der „Zauberer von Bologna“, der Städteplaner Winkler, in rot-grünen Diensten die Frankfurter Innenstadt, um - „nach der Sommerpause“ - ein solches Gesamtkonzept erarbeiten zu können. Die Frage nach dem Zeitpunkt der Umsetzung eines solchen Entwurfes stelle sich dagegen heute noch nicht, denn „da müssen unheimlich viele Vorgespräche geführt werden, damit die Akzeptanz steigt“.

„Stille Sacharbeit“

Das Kardinalproblem der Roten und der Grünen in diesem ersten Regierungsjahr sei nämlich der von zehn Jahren CDU -Herrschaft geprägte Verwaltungsapparat gewesen. Und dessen „Perestroika“ habe innerhalb der Koalition Kräfte gebunden. Schließlich seien 19.000 Beschäftigte nicht über Nacht „umzukrempeln“. In „stiller Sacharbeit“ habe man das Kindergartenpersonal verstärkt, auf den Wohnungsämtern Personalengpässe beseitigt und das Ordnungsamt aufgestockt, damit dort ausreichend Personal zur Kontrolle der frisch ausgewiesenen neuen Plakettenzonen fürs Anwohnerparken vorhanden ist. Darüber hinaus habe die Koalition die Rechte der Ortsbeiräte gestärkt, damit in den Stadtteilen gerade Verkehrsberuhigungsmaßnahmen zügiger entschieden werden könnten. Sikorski: „Eine alte grüne Forderung.“

Doch den Roten und den Grünen in Frankfurt ist klar, daß Schwierigkeiten mit der Umsetzung innerhalb des Appartes nach diesem ersten Regierungsjahr nicht länger als Entschuldigung für die Untätigkeit der Koalition in der Praxis herhalten können: „Ab sofort zählen nur noch Taten.“ (Sikorski).

Grüner Dezernent

als „Abfalldepp“

Die hatte Koalitionschef Volker Hauff bereits zum Jahreswechsel 89/90 angekündigt, doch bis auf den pressewirksamen gemeinsamen „Kampf gegen den Campanile“ am Hauptbahnhof, in dessen Verlauf die Grünen ihren Widerstand gegen die Hochhausbebauung anderswo aufgaben, haben die „Sozialökologen“ in der Stadt bislang kaum Spuren hinterlassen. Die erste „wohnungsbaupolitische Offensive“ des SPD-Planungsdezernenten Wentz wurde ein Schuß in den Ofen. Die Müllprobleme der Stadt machen den grünen Umweltdezernenten zum „Abfalldeppen“ (Koenigs). Und demnächst wird wohl der schon als Naherholungsgebiet ausgewiesene „Monte Scherbelino“ an der Stadtgrenze erneut mit Hausmüll aufgeschüttet werden. Unter der Regie des Grünen müssen dann auch Bäume gefällt werden. Getrennt gesammeltes Altpapier läßt Koenigs schon heute verbrennen, weil der private Recycler aus dem Ver trag mit der Stadt ausgestiegen ist.

Vom koalitionsvereinarten Grüngürtel um die Metropole ist auch (noch) nichts zu entdecken, und in der Kulturpolitik soll die selbst innerhalb der SPD umstrittene Linda Reisch (SPD) als Nachfolgerin des legendären Hilmar Hofmann „neue Akzente“ setzen. Derweil reist Oberbürgermeister Volker Hauff durch die Welt und spricht dort - unter dem Beifall der IHK - von Frankfurt als Konkurrenzmetropole zu New York oder London. Und während japanische Großkonzerne zum Frankfurter Wirtschaftsgespräch in den „Ginnheimer Spargel“ geladen werden, um den Managern aus Fernost den Standort Frankfurt schmackhaft zu machen, versuchen die DezernentInnen der Grünen die Auswirkungen dieser, an ökonomischen Grundsätzen orientierten Metropolenpolitik abzufedern: Ein Methadonprogramm für die FixerInnen konnte ebenso durchgesetzt werden wie der „Monat gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“ unter dem Patronat von Dany Cohn -Bendit. Und den schwächsten VerkehrsteilnehmerInnen sollen demnächst Tempo-30-Zonen vor allen Grundschulen ein sichereres Überqueren der Straßen garantieren.

Nach nur zwölf Monaten Regierungszeit hat sich genau die Rollenverteilung innerhalb der Koalition herausgeschält, die Kritiker schon bei Abschluß des Koalitionsvertrages und bei der Verteilung der Dezernentenposten prognostiziert hatten.

Die Grünen räumen denn auch ein, daß das politische Manko der Koalition die „fehlende Rückbesinnung auf die Chancen, die Kommunalpolitik eigentlich bietet“, sei. Und diese Chancen für die Umgestaltung einer Kommune seien schließlich größer als die Chancen, die etwa ein Ministerpräsident bei der Umgestaltung eines Bundeslandes habe. Ein Ruck müsse jetzt durch die gesamte Koalition gehen, meinte Lutz Sikorski, damit endlich „sichtbare Politik für die Menschen der Stadt“ gemacht werden könne: „Verkehrs- und Gesundheitspolitik, Wohnungsbau und Luftreinhaltung“ seien die aktuellen Aufgaben. Sikorski: „Falls wir im zweiten Jahr hier immer noch nichts Zählbares auf die Beine gestellt haben sollten, können wir alle ein packen.“