: Rot-Grün wieder im Geschäft
■ Rund 4.500 Stimmen bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen haben die Grünen vor dem drohenden Absturz gerettet. Plötzlich ist wieder alles ganz anders: Statt Abstieg in die politische Bedeutungslosigkeit sind sie nun potentielle Regierungspartner in Niedersachsen und erstmals im Düsseldorfer Landtag vertreten. Für die SPD stellt sich jetzt die Frage, was sie aus ihrem Wahlsieg macht. Mit ihrer Mehrheit im Bundesrat könnte sie Kohls Fahrplan in Sachen Deutschlandpolitik noch einmal umschreiben. Aus Hnnover, Düsseldorf und Bonn: Jürgen Voges, Bettina Markmeyer, Walter Jacobs, Gerd Nowakowski und Ferdos Forudastan
Die niedersächsischen Grünen haben es eilig mit den Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Der Ruf mit dem offiziellen Verhandlungsangebot an die Fraktion der SPD wurde schon gestern von einem Flügel des Landtages in den anderen getragen. Der geschäftsführende Landesvorstand der niedersächsischen SPD hat hingegen erwartungsgemäß in Sachen Koalitionsverhandlungen zwei Briefe herausgegeben: „Ein Brief mit einem Verhandlungsangebot geht an die Grünen“, sagte der SPD-Landesvorsitzende Johann Bruns, „in dem anderen an die FDP wird vorgeschlagen, über alles miteinander zu reden.“
Wahlsieger Gerhard Schröder selbst möchte die Koalitionverhandlungen mit den Grünen „am liebsten noch in dieser Woche beginnen“. Aber davon abgesehen blieb Schröder auch gestern bei seiner Sprachregelung aus Wahlkampfzeiten: „Wir wollen mit beiden kleinen Parteien im Landtag verhandeln und werden zunächst mit denen reden, die mit uns reden wollen“, sagte er.
Einige Mitglieder des Schröderschen Schattenkabinetts haben dagegen ihren Wunschpartner für die Koalition längst ausgemacht: „Etwas anderes als Rot-Grün kommt nicht in Frage“, sagte etwa die zukünftige Kulturministerin Helga Schuchardt. Die Freidemokraten werden von der ehemaligen FDP -Politikerin heute nur noch als „Kapitalistenpartei“ tituliert. Genüßlich konnte der grüne Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin dann gestern anmerken, daß Gerhard Schröders Rede auf der SPD-Wahlparty von lautstarken „Rot-Grün-, Rot -Grün„-Rufen unterbrochen wurde.
Trittin, der in einem Bündnis mit der SPD auf jeden Fall Minister werden wird, betonte gestern, daß die Grünen „ohne einen Knackpunkte-Katalog“ in die Verhandlungen mit der SPD gehen würden, nannte anschließend aber eine ganze Reihe von „Konfliktpunkten“. Erklärtes Ziel der Grünen ist es, „den Austieg aus der Atomenergie hinzubekommen“, weil das Land mit den Anlagen in Gorleben und Schacht die Entsorgungsnachweise für alle bundesdeutschen AKWs liefert. Deswegen wollen die Grünen in den Koalitionsverhandlungen das Vorgehen beim Abbruch des Schacht-Konrad-Verfahrens und der Arbeiten am Gorlebener Endlager schon gleich festlegen. Die grüne Spitzenkandidatin Thea Dückert sah auch Probleme in der zukünftigen Müllpolitik. Die Grünen lehnten, anders als die SPD, Müllverbrennung und Lagerung von Giftmüll in Salzkavernen ab, sagte sie gestern.
Außerdem beanspruchen die Grünen auch für ihre Partei das Frauen- und das Umweltministerium. Der SPD-Landesvorstand hat hingegen in seine siebenköpfige Verhandlungskommission auch die parteilose SPD-Umweltministerkandidatin Monika Griefahn berufen. Offenbar werden bei den Grünen in der strittigen Frage der Besetzung des Umweltministeriums intern schon Kompromißlinien gesucht. Auf die Frage, ob er sich in den Koalitionsverhandlungen auch einen Tausch inhaltlicher Positionen gegen Personalforderungen vorstellen könnte, antwortete der grüne Fraktionsvorsitzende Trittin gestern, Koalitionsvereinbarungen seien immer Pakete aus Sachfragen, Strukturen und Personen. Schröder wollte sich gestern zu den anstehenden inhaltlichen Problemen bei den Verhandlungen mit den Grünen „nicht in der Öffentlichkeit äußern“. Dazu seien die Verhandlungen selbst da. Für die Stabilität, die die SPD von einer zukünftigen Regierungskoalition immer wieder verlangt, reicht nach Aussage von Schröder die Drei-Stimmen -Mehrheit von Rot-Grün aus. Er sehe da keinen qualitativen Unterschied zu der Mehrheit von fünf Stimmen, die das Wahlergebnis für ein Bündnis mit der FDP erbracht hätte.
Als wichtigste Aufgabe der Landespolitik bezeichnete Schröder die Sicherung der „finanziellen Ressourcen des Landes“. Nur wenn dies gelinge, könne man die im SPD -Sofortprogramm vorgesehen Maßnahmen umsetzen, relativierte der künftige Ministerpräsident schon gestern die eigenen Wahlversprechungen.
Der FDP will Schröder nicht „hinterherlaufen“. Die Freidemokraten haben allerdings ihr striktes Nein zu Verhandlungen mit der SPD vom Wahlabend gestern bereits etwas abgeschwächt: „Die FDP sieht keinen Handlungsbedarf für Gespräche/Verhandlungen mit der SPD zum Zwecke der Regierungsbildung“, lautet der gestrige Beschluß des Geschäftsführenden FDP-Landesvorstandes, von dem Wirtschaftsminister Walter Hirche allerdings nicht versichern wollte, daß er „das letzte Wort ist“. Die CDU kündigte gestern als Konsequenz aus der Wahlniederlage eine „Zeit der inhaltlichen und personellen Erneuerung“ an. Ihr Fraktionsvorsitzender Jürgen Gansäuer kündigte an, daß nach Ernst Albrecht spätestens im September auch der Landesvorsitzende Wilfried Hasselmann auf's Altenteil gehen wird. Weder Rita Süssmuth noch Ernst Albrecht würden ihre Landtagsmandate annehmen, so Gansäuer.
Jürgen Voges
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