: John Hustons Klassiker des „Film noir“
■ „Asphalt-Dschungel“, 20 Uhr, DFF 2
Der Titel allein weckt die Vorstellung vnon nächtlich -nebelverhangenen Großstadtstraßen, steil abfallenden Kaimauern und düsteren Spelunken. Mit seiner erzählerischen Lakonie gilt John Hustons 1950 entstandenes Kriminalstück noch heute den Cineasten aller Länder als Klassiker des viel gerühmten „Film noir“.
Doch die Geschichte vom alternden Edelgangster Doc Esterhazy, der eine illustre Truppe von Helfershelfern um sich schart, um ein letztes, großes Ding abzuziehen, birgt gerade für den deutschsprachigen Filmliebhaber eine Überraschung. In der gleichnamigen Vorlage W.R. Burnetts und auch in der amerikanischen Originalversion trägt der Bösewicht nicht den Namen Esterhazy, sondern ist ein schlitzohriger Deutscher namens Riemenschneider. Soeben aus der Haft entlassen, versteht es der Deutsche durch seine Vision des perfekten Verbrechens die unterschiedlichsten Typen für sein Unternehmen zu gewinnen. Da gibt es die städtischen Randexistenzen Dix Handley und Gus Minisi, aber auch den in bürgerlichen Verhältnissen lebenden Safe-Knacker Luis Ciavelli und den betuchten Alonzo Emmerich (dessen jugendliche Mätresse spielt die damals blutjunge Marilyn Monroe). Am Schluß endet der große Coup für alle im Desaster.
Zunächst aber findet Riemenschneider, ausgestattet mit einem feinen Sensorium für die Spezifika seiner Gegenüber, für dieses gewaltige Spektrum gesellschaftlicher Gruppierungen, stets den richtigen Ton; weiß er doch alle Beteiligten, mal mit Charme, mal mit patriotischem Geplauder, für das eine große Ziel zusammenzuschweißen. So gelesen und in Anbetracht des Entstehungsjahres 1950 offenbart sich hinter der Kriminalgeschichte ein feinsinniges Gleichnis, eine Parabel, die in der vermeintlichen Klassenverbrüderung ein Merkmal der faschistischen Machtergreifung zu beschreiben sucht. Doch von all dem findet sich in der deutschsprachigen Synchronfassung nichts. Mit dem Namenswechsel von Riemenschneider zu Esterhazy, aber auch indem man ganze Einstellungen herausgeschnitten und durch andere ersetzt hat, wurden sämtliche Spuren verwischt, die eine Lesart des Films als politisches Gleichnis zulassen würden. Der Asphalt-Dschungel ist demzufolge ebenso ein Opfer der deutschen Synchronisation, die sich insbesondere in den fünfziger Jahren als Entpolitisierungsinstrument verstand, wie zuvor schon Michael Curtiz‘ Casablanca. Nur haben hier, nachdem die Verstümmelung durch die Synchronsiation publik wurde, die Verantwortlichen die „faule“ Version aus dem Verkehr gezogen und durch eine neue - eine, die sich enger am Original orientiert - ersetzt. Der deutschsprachige Asphalt Dschungel aber wird eingehen in die Filmgeschichte als Beleg für eine subtile Form der Zensur; einer Zensur, die aus dem Befund resultierte: Das Volk will keine politischen Gleichnisse, sondern Unterhaltung pur.
Friedrich Frey
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