: Szenen einer Ehe auf dem Boulevard
■ Ingmar Bergmans Theateradaption in den Hamburger Kammerspielen
Statt eines Bühnenbildes gibt es eine U-förmige, mit Rupfen bespannte Wand, vor der Bett, Tisch und Stühle - alle aus dem Superangebot eines bekannten schwedischen Möbelherstellers - wechselnde Wohnszenen andeuten. Auch die Kostüme der Darsteller sind schlicht und lieblos: sie wechseln sie während der Stückes, das immerhin einen Zeitraum von zehn Jahren durchmißt, kein einziges Mal, und auch das scheint zu den Gesetzmäßigkeiten des Genres zu gehören - sie gehen gehen damit zu Bett. Haut und Körper, Intimitäten kommen nicht vor. Der Text dominiert. Kein Theater, eher eine Art Leseprobe, das über zwei Stunden, ohne Pause.
Dennoch schafft es die Inszenierung, auch die der Reduzierung auf wenige Stationen, den großen Bogen und die kleinen Brüche sichtbar zu machen. Und die beiden Darsteller - Rita Russek als Marianne und Erich Hallhuber als Johan - machen durch großen Ernst und wachsende Genauigkeit den Abend sogar zu einem Erfolg.
Die sieben Szenen beschreiben das langsame Zerbrechen einer Beziehung. Der Alltag von Ehe und Famlie ist zum Netz geworden, in deren Maschen sich die Partner gefangen haben. Jeder Versuch, die Fesseln zu zerreißen, indem man ein Essen absagt, einen langen Urlaub plant, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Auch die regelmäßigen Diskussionen um die Rolle der Geschlechter über die gegenseitige sexuelle Frustration - oder Ereignisse wie Mariannes Schwangerschaft
-reißen nur an den alten Wunden. Die Rettung heißt Paula: sie ist zehn Jahre jünger, ein Vulkan an Gefühlen und das auch im Bett. Johan verläßt ihretwegen Frau und Kind, wie er meint, in Richtung Freiheit. In Bergmans sechsstündigem Fernsehepos war der Wechsel von der Idylle in die rettende Katastrophe abrupt: Erst rückblickend erscheinen die feinen Haarrisse im Glück. In dieser Theateradaption Bergmans (1981 hatte er in München die Szenen schon einmal fürs Theater inszeniert) ist die Katastrophe von Beginn an mit Händen zu greifen. Rita Russek hätte dem gegensteuern können, indem sie ihrer Figur mehr Naivität und Zufriedenheit mit der anfangs so heilen Situation gegeben hätte. Ihre Entwicklung zu einer erwachsenen, durch Leid gereiften Frau wäre dadurch plausibler geworden.
Denn das ist die Kurve, die Mariannes Leben beschreibt: Sie hat lange auf Johan gewartet, sie hat, als ihm Paula zu anstrengend wird, einen neuen Anfang angeboten. Als er jedoch signalisierte, daß ihn nur sexuelle und emotionale Verfügbarkeit interessieren, bricht sie auf in die wirkliche Freiheit. Noch einmal treffen sich beider Kurven. Im Schnittpunkt wird es möglich, auszusprechen, was während ihrer Ehe nicht zur Sprache kommen wollte - der Haß, die Wut auf seine negativen Charakterseiten, seine verletzenden Absencen, seine penetranten Gewohnheiten. Vor Jahren hätte das heilend sein können, jetzt erweist es sich als zerstörerische Altlast, die alles vergiftet. Bergman behauptet, indem er in einer abschließenden, als Epilog vorgestellten, Szene, die beiden - mittlerweile in neuen Ehen gebunden - noch einmal „mitten in der Nacht in einem Haus irgendwo auf der Welt“ zusammenführt, gewalttätige Ausbrüche dieser Art hätten katharsische Wirkung. Auf der Bühne wirkte diese Vision nicht plausibel. Doch vielleicht will man dazu von etwas mehr Theaterzauber verführt werden, als die Hamburger Kammerspiele zu liefern bereit waren.
Szenen einer Ehe hat durch seine Verpflanzung ins Boulevard-Genre nicht gelitten. Sie sind dort besser aufgehoben als in der hehren Umgebung des Bayrischen Staatsschauspiels oder des Deutschen Schauspielhauses. Vielleicht, weil sie hier ihrem nahen Schauplatz, dem Alltag, näher sind. Und die Kammerspiele sind ein gutes Stück weiter auf ihrem Weg, das dritte Hamburger Theater zu werden, das Aufmerksamkeit verdient. Thomas Bernhard, Henrik Ibsen, Edward Bond, Herbert Achternbusch stehen auf dem Progranmm, Regisseure wie Andrea Breth, Darsteller wie Erika Pluhar und Kurt Meisel versprechen, daß die dicke Staubschicht von dieser ehrwürdigen Institution bald endgültig beseitigt sein wird.
Hannes Heer
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