: Birne kann mehr oder: The Glühbirnen Fake
■ Wie Hans Magnus Enzensberger aufstand, kurz im Flur verschwand und eine Glühbirne einschraubte...
Bei Thomas Pynchon las ich: „Die Geschichte von Byron, der Birne“, die urspünglich von Tungsram in Budapest hergestellt werden sollte, dann aber noch im letzten Moment an Osram in Berlin zurückzediert wurde. Es handelte sich bei dieser Glühbirne um eine „unsterbliche“, die von einer Organisation namens „Phoebus“ verfolgt und vernichtet werden sollte. Hinter „Phoebus“ steckte ein internationales Glühbirnenkartell mit Hauptsitz in der Schweiz: „Es wird im wesentlichen von International GE, Osram und den Associated Electrical Industries of Britain kontrolliert, welche sich ihrerseits, in gleicher Reihenfolge, zu 100, 29 und 46 Prozent im Besitz von General Electric Company von Amerika befinden. Phoebus macht die Preise und bestimmt die Lebensdauer „jeder Glühbirne auf der ganzen Welt“. („Die Enden der Parabel“, Seite 1012). Ich las die Geschichte der Verfolgung der unsterblichen Glühbirne zwar mit Spannung, aber als relativ unwichtigen Aspekt in Pynchons „Gesamtwerk“, den ich dann auch bald wieder vergaß. Einige Zeit später fiel mit in einem Cafe die 'Zeit‘ in die Hände, darin ein Interview von Ulrich Greiner mit Hans Magnus Enzensberger. Ich las ziemlich unaufmerksam. Ein völlig blödsinniger Satz blieb mir allerdings im Gedächtnis haften, eben weil er so blöde war: „Enzensberger stand auf, um Licht zu machen. Eine der beiden Tischlampen seitwärts des Sofas gab ein klickendes Geräusch von sich und blieb dunkel. Enzensberger verschwand kurz im Flur und kehrte mit einer neuen Glühbirne zurück, die er einschraubte. Dann setzte er sich wieder aufs Sofa, usw. usw.“ Vielleicht wäre mir dieser Satz in dem bescheuerten Interview noch nicht einmal im Gedächtnis haften geblieben, aber wenig später las ich in der 'Transatlantik‘ ein „Interview mit einem Hühnerficker“, in dem genau dieser eben aus der 'Zeit‘ zitierte Satz erneut vorkam, der Autor war diesmal ein „Jimmy Cooke“. Banal, nicht wahr? Aber in der Februar-Ausgabe der 'New York Book Review‘ stand dann - ich bekam die Ausgabe erst später in die Hand - ein Artikel von Sven Birkerts über das Buch „Selected Essays of Eugenio Montale“, einem italienischen Lyriker, der im September 1981 gestorben war. Der Artikel begann mit dem Satz: „Literary traffic between Italy and America has always been fitful.“ Um dann zwei Abschnitte weiter sich über die „Tatsache“ auszulassen, daß Eugenio Montale bei gewissen Anlässen seine Freunde und Gäste damit geschockt habe, daß er ausgebrannte Glühbirnen zerbiß, deren Scherben er dann ausspie. Nicht genug damit, fand sich an anderer Stelle in dem Artikel eine Bemerkung über die „Glühbirne“: „Of Campana, for example, whose excessive Rimbaudian style was far from Montale's own ideal of compression and clarity, he wrote: ‘Dino Campana, who, as Cecchi has said, passed like a comet, has written one of the greatest italian poems about incandescent bulbs!.“ Der Autor des 'Review'-Artikels - Sven Birkerts - hatte diese Stelle zitiert als Beispiel für Montales „Objektivität“ (oder was weiß ich). Mir war sie auf alle Fälle Beweis dafür, daß sich in der letzten Zeit die Glühbirnen-Metapher in meinen Lektüre-Exkursionen auf bedenkliche Weise häufte. Aber es ging noch weiter.
Im 'Stern‘ las ich dann einen Artikel über einen „mysteriösen Brand“ in einer Miederwarenfabrik bei Fürth, „mysteriös“, weil irgendwelche Versicherungsbetrügereien dahinterstecken sollten - nach Meinung des 'Stern'-Autors; für mich war die Sache aber deswegen mysteriös, weil das Feuer, das das Warenlager der Firma zerstörte, alle Glühbirnen und Neonröhren - auch in den angrenzenden Gebäuden - hatte zerplatzen lassen. Sodann, ich war für eineige Tage nach Berlin gefahren, gab mir in der taz -Redaktion einer der Kulturredakteure dort einen Artikel zu lesen - über ein merkwürdiges „alternatives Etablissement“. Der Artikel besaß keine Autoren-Unterschrift. Mittendrin stieß ich wieder auf den Glühbirnen-Satz, den ich zuerst in dem Enzensberger-Inteview gefunden hatte, nur daß es diesmal statt des Dichters eine Frau ohne Namen war, die auf den Flur ging, um eine Glühbirne zu holen, usw.
(...) Das reichte. Was zum Teufel... Ich fuhr in die taz -Redaktion in der Wattstraße (selige Zeiten..., säzzer), setzte mich in der Kulturredaktion an einen freien Schreibtisch und fing an, herumzutelefonieren - dort auch „recherchieren“ genannt. Zuerst einmal schrieb ich untereinander alle meine Glühbirnen-Ereignisse auf. Als erstes „Thomas Pynchon“ - Rowohlt-Verlag. Dann verlangte ich am Telefon die Redaktion der Reihe „Neues Buch“ bei Rowohlt. Delf Schmidt war am Apparat, der gab mir dann seinen Vorarbeiter Jürgen Manthey; nicht ohne zuvor von „Pynchon“ als einem „Jahrhundertwerk“ gesprochen zu haben, was mir aber bei meinem Glühbirnen-Anliegen wenig nützte. Auch Manthey konnte mir nicht weiterhelfen, verband mich aber schließlich mit Ledig-Rowohlt. Der sagte sofort: „Pynchon, da sind Sie doch bei mir genau richtig, das ist doch mein Mann, den habe ich doch entdeckt!“ Nur, leider, alle Kontakte zum Autor würden über „Viking Press“ laufen, eigentlich gebe es gar keinen Kontakt zum Autor, nicht einmal „Viking Press“ wüßte, wo er stecken würde, und selbst hochdotierte, ehrenvolle Literaturpreise würde der scheue Pynchon ausschlagen, auch gebe es genaugenommen keinen anderen Menschen, der ihn kenne. Selbst Recherchen würden im Sande verlaufen. Zu allem Überfluß seien auch noch die Unterlagen in dem College, in dem er früher mal studiert hätte, bei einem Brand vernichtet worden, und die Akten bei der US-Marine, wo er mal gedient habe, seien unauffindbar, also verschwunden. „Mysteriös“, das war das Wort, das Ledig -Rowohlt benutzte. Mich machte das Ganze eher „argwöhnisch“.
Jetzt zum Enzensberger-Interview mit Ulrich Greiner. In der 'Zeit'-Redaktion war er nicht mehr, aber eine Sekretärin gab mir seine Privatnummer. Ich hatte Glück. Wie er etwas gehetzt bemerkte, hatte ich ihn gerade noch beim Rausgehen erwischt, er war just auf dem Weg, um eine Einladung zu einer Wildschwein-Treibjagd wahrzunehmen, stand also gewissermaßen schon Gewehr bei Fuß - am Telefon. Das letzte dachte ich mir nur. Ich fragte ihn nach dem Enzensberger -Interview bzw. ich wollte ihn nach der Glühbirnen-Stelle fragen, was er sich dabei gedacht hätte, vielleicht irgendwelche genaueren Hinweise, natürlich nicht die Wattstärke betreffend. Aber er kam mir zuvor, noch gehetzter, schon unwirsch: Das sei eben sein Stil, Atmosphärisches einzufangen, hauptsächlich aus Schriften der Befragten zu zitiern statt Fragen zu stellen und Antworten hinzuschreiben, er sagte, „zu registrieren“. Ich kam gar nicht dazu, das Mißverständnis aufzuklären, da hatte er schon angelegt, sein Gewehr sich geschnappt und durchgeladen. Das letzte vermutete ich natürlich nur. Schon etwas weniger forsch rief ich bei der nächsten Adresse an, bei 'Transatlantik‘. Sofort stellt man mich zur neuen Herausgeberin - Marianne Schmidt - durch. Die war zuvorkommender. Ja gewiß, mit dem Autor hätte man schon mehrfach zu tun gehabt, d.h. genaugenommen nur mit dem Büro, in dem er arbeiten würde... Büro?! Ich verstand nicht ganz. „Einen Moment bitte, ich suche Ihnen mal die Korrespondenz heraus. Hier haben wir es schon: ‘Standard Texte S.A., German Branch.“
(...) Als ich dort ankam, erwies sich das Büro als eine im dritten Stock gelegene ehemalige Zahnarztpraxis, oder jedenfalls stand am Ende eines schwarz gestrichenen Flurs ein weißer Zahnbehandlungsstuhl. In den verschiedenen Räumen arbeiteten etwa fünf Leute, man hörte Schreibmaschinengeklapper. Ich wurde nach meinen Wünschen gefragt und verlangte Jimmy Cooke zu sprechen, sagte, daß ich Näheres über einen mit seinem Namen unterzeichneten Artikel wissen wollte. Eine Frau kam hinzu und meinte: Normalerweise wären sie mit Recherchen über andere Leute beschäftigt, es sei bisher noch nicht vorgekommen, daß jemand sich mit ihnen beschäftigt hätte. Im übrigen gäbe es einen derartigen Autoren nicht bei ihnen, das sei ein Pseudonym, das sie mitunter benutzen würden. Wer „sie“ denn überhaupt seien, fragte ich - zugegebenermaßen etwas dümmlich - zurück. „Sie“ seien eine Text-Agentur. Zweigstelle einer Firma in Berlin.
Als ich am nächsten Tag bei der taz in Berlin anrief, erzählte mir der Kulturredaktuer, daß er herausbekommen hätte, woher der Artikel über jenes merkwürdige „alternative Etablissement“, in dem sich ebenfalls dieses Glühbirnen -Zitat befand, stammte: von der „Standard Text S.A. Büro Berlin“. (...) Und dann erzählte er mir noch, daß er dort in dem Berliner Büro eine Weile in einer Art Wartezimmer gesessen hätte, und dabei hätte er eine Ausgabe der Pariser Zeitschrift 'Actuel‘ durchgeblättert, in der er auf einen angekreuzten Artikel gestoßen wäre, ein Artikel über den Untergang oder unaufhaltsamen Niedergang der Pariser Striptease-Etablissements. Nichts Aufregendes an sich, nur, daß an einer Stelle stand, daß die Künstlerinnen sich immer Ausgefalleneres einfallen lassen müßten, um wenigstens noch ein Minimum an Aufmerksamkeit und interessierten Zuschauern zu bekommen. So würde z.B. im „Chez Tout“ eine jüdische Striptease-Tänzerin mit dem Namen Sarah auftreten, die gewissermaßen als krönenden Abschluß ihrer Darbietung eine Glühbirne in ihrer Möse zum Erleuchten bringe. Ob uns das irgendwie weiterhelfe - in unserer Recherche, wollte der Kulturredakteur wissen. (...)
Helke Schwan
...und wie es weitergeht, ist nachzulesen in „die taz. Das Buch - Aktuelle Ewigkeitswerte aus zehn Jahren tageszeitung“, Verlag Zweitausendeins. „The Glühbirnen-Fake“ erschien am 15.10.1983
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen