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Die Bilder in dir, jene gefangenen

■ Tanztheaterstück „Eine Art Glück“ von Elvira Noa / Über (jüdische) Heimatlosigkeit, Daseinsnot und Rilke

Was hat man von Rilke? Entschlossene Subjektivität, Daseinsnot, Tode, poetisiert? Ergriffensein, Ungeliebte, Trauerweiden? Es ist das alles und ein furchtbarer künstlerischer Ernst um Rainer M. Rilke, den Schmerzensmann, der Schmerzensreiche anzieht und mit sich allein läßt. Der „Herzwerk“ getan hat an den inneren „Bildern, jenen gefangenen“. Rilke fürwahr. Der an der

Welt den Tod rühmte und das Schöne als den Beginn des Schrecklichen. Und der schreckliche Engel liebte und mitnichten etwas gut meinte - wie „Eine Art Glück“, eine Art Tanztheater von Elvira Noa, Bremer Lyrikerin.

Elvira Noa bringt Rilke zum Tanzen, und aus Dichtung wird Lehre. Im freiraum-theater niedrige Schwärze, eine Art Gerüst von links, drauf sitzt verschränkt

eine raunende Sätzevorgeberin (Minni Oehl) mit Sätzen aus der ersten Duineser Elegie. Drunter Live-Musiker. Im Schwarz gezielt verstreut stehen weißgepuderte Gestalten, schon tot. Zwei Tänzer schütteln an ihnen wie an Apfelbäumchen, die Gestalten stäuben. Die Schüttler schmettern bald wuchtig Arme und Beine, als wollten sie sich wegwerfen. Aufgezogene Figuren. Düstere Klänge dringen vom Gerüst und „Das Schöne ist des Schrecklichen Anfang“. Also so muß man sich das vorstellen. Hold und schrecklich

Eine Holde im elysischen Gewand hereintanzt milde, das Schöne ist der Anfang des Schrecklichen haben wir aber schon gelernt und warten. Wild hämmert das Klavier und macht tief Empfundenes vor und nach. Körper taumeln, verhaken sich, wollen fliegen, liegen aber, greifen noch nacheinander, um sich abzustoßen. Nur das sakrale Gebäude, die Synagoge auf der rechten Wand, himmelblaut - auf eine bessere Zukunft? Die Gestalten kommen wieder, jetzt in grauen Mänteln, sind Vertriebene und das Volk und spielen endgültig „Reise nach Jerusalem“. Die Engelische - schon schrecklicher - nimmt hämisch Platz auf dem letzten Stuhl. Das Volk als Haufen im Hintergrund beklagt Mißstände wie die Abschiebung von Roma und Sinti und überhaupt die Asylantenpolitik und einer geht durch den Vordergrund und schulmeistert „es ist nicht Aufgabe des Staates...“. Später jagt ein Scheinwerfer Liebende, und ein rotes Sofa wird hin

und hergeschoben. „Die Nacht, ist sie den Liebenden leichter“ oder so ähnlich schallt's aus dem Gerüst. Endlich kommen Grünmantelige wegen dem rumorenden Volk, Polizisten, die Holde ist dabei, und werfen sich unter großen Verrenkungen in die Vertriebenen hinein, atonale Synthieglocken unterm Gerüst. Menschen arbeiten sich aneinander ab, sphärische Engelsstimmen aus dem Off, Menschen zusammengeschlossen in einem Seil machen die Runde. Das Saxophon schreit.

Zum Schluß haben wir verstanden: Der Mensch ist ein Leidender und mythisch unbezogen. Das Leben ist schwer, aber zu nehmen. Die Bedeutung lastet so schwer auf den Schultern der Protagonisten, daß die Bilder keuchen müssen.Aber macht Stur

zergriffenheit Unbehaustsein, Ohnmacht und Verstummen bestürzender?

Elvira Noa nimmt Rilke beim Wort, da werden schreckliche Engel eben zu Polizistinnen. Und garniert ihn mit den Begriffen: „Variationen über ein jüdisches Thema“, „Heimatlosigkeit“, „Tanz, Theater“. Warum? Weil ihnen gemeinsam ist, zu zielen „auf die Innenwelt“ oder diese zu suchen „als Lösung, als Hilfe, vielleicht als Ersatz für nicht Vorhandenes“ (Programm). Unter dem Aspekt des Nützlichen ist mit schrecklichen Engeln niemand geholfen. Das läßt einen kalt wie der Luftzug eines schnellen Flügelschlags. Meinetwegen von einem Engel. Claudia Kohlhas

Noch heute und morgen abend im freiraum-theater, 20.30h

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