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Diestel: Kein Auftrag an Markus Wolf

■ Von einer Beteiligung Wolfs an der Regierungskommission zur MfS-Auflösung soll nie die Rede gewesen sein

Berlin (taz) - Der Streit um DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel weitet sich aus. Nachdem führende aus der Union und der FDP in Bonn die Entlassung des DSU-Politikers gefordert haben, schossen sich gestern auch die Sozialdemokraten auf den 38jährigen ein. Der stellvertretende SPD -Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Wilfried Penner, urteilte in einem Interview mit der 'Westdeutschen Zeitung‘, Diestel mache sich mit der geplanten Berufung von Markus Wolf in die Regierungskommission zur Auflösung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) möglicherweise der „Beihilfe oder Strafvereitelung“ schuldig. „Mischa“ Wolf war jahrelang Leiter der Auslandsspionage des MfS und dessen stellvertretender Minister für Staatssicherheit. Auf völliges Unverständnis stieß beim SPD-Politiker Penner weiter, daß Diestel mit Peter Müller auch einen früheren Volkspolizeipräsidenten zu seinem Staatssekretär ernannt hat. „Das wirkt befremdlich vor dem Hintergrund der Beteuerung, gerade den Bereich der inneren Sicherheit von Grund auf neu zu ordnen.“ Unter der Maßgabe, daß „in der DDR nur regimebelastete Sach- und Fachkompetenz verfügbar war“, wäre es ratsamer gewesen, wenn sich Diestel in der Übergangszeit bis zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten „bundesdeutschen Sachverstands“ bedient hätte.

Diestel selbst wies alle Vorwürfe zurück. Nie hätte er daran gedacht den früheren Geheimdienstchef in die noch zu bildende Regierungskommission zu berufen. Sehr wohl habe er aber mit Wolf ein Gespräch geführt, in dem er den früheren Stasi-General überreden wollte, sein Wissen um die Strukturen des MfS zu offenbaren. Seine damit verfolgte Absicht sei eine vollständige Zerschlagung der Stasi und die „Unumkehrbarkeit dieses Prozesses“ gewesen. „Wenn ich ihn zur Preisgabe seines Wissens überreden könnte“, heißt es in der rschriftlichen Erklärung des Ministers, hätte er „fast besser als jeder andere noch so Engagierte zur Aufklärung der Strukturen beitragen“ können.

Seinen gestrigen Besuch in Bonn wollte der DSU-Mann dazu nutzen, um mit den Unionspolitikern zu reden, die in den letzten Tagen seinen Rücktritt gefordert haben. Diestels Sprecher Werner Twarog wies gestern die Meldung über eine Beteiligung Wolfs an der Regierungskommission als Falschmeldung zurück. Die Volkskammerfraktion der DSU stellte zur gleichen Zeit „Übereinstimmung“ mit dem Minister aus ihren Reihen fest.

In einem Interview mit der 'Berliner Zeitung‘ warf Diestel im selben Atemzug der früheren Regierung von Hans Modrow vor, sie habe die 100.000 Mann aus dem MfS „rückhaltlos ins soziale Nichts gestoßen“. Diese seien „hochausgebildet, hochmotiviert, jahrzehntelang für eine fiese, unmenschliche Politik eingesetzt, für ein verbrecherisches Ziel eingesetzt worden“. Er könne jetzt nicht zulassen, „daß so viele gut ausgebildete, an Disziplin gewöhnte Menschen, die mit Waffen umgehen können, völlig perspektivlos herumirren und andere Kreise, wie die Mafia oder ähnliche Verbrecherorganisationen, auf sie aufmerksam werden“.

Wolfgang Gast

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