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Der Pfahl im Fleische

Frankreichs Sozialisten und die Lehren von Carpentras  ■ K O M M E N T A R E

Seit genau zehn Jahren liegt Jean-Paul Sartre auf dem Friedhof Montparnasse. Gut begraben und bislang noch ungestört. Als er noch lebte, schrieb er einen Roman über die Kollaboration - Der Pfahl im Fleische - und entwickelte darin den Typ des lache, des Feiglings, der mit vollen Hosen und guten Argumenten die Sache des Schlechten vertritt. Die erste Konsequenz, die Frankreichs Sozialisten aus den Grabschändungen von Carpentras gezogen haben, mag manchem als kleineres Übel erscheinen. Sartre hätte ein anderes Wort dafür gehabt.

Die Partei hat sich nämlich jetzt entschieden, jenen Minderbürgern, die zwar arbeiten und Steuern zahlen, aber nicht entscheiden dürfen, was mit den Steuern geschieht, sprich: den Ausländern, bis auf weiteres das kommunale Wahlrecht vorzuenthalten. Statt die keineswegs negativen Erfahrungen aus den Niederlanden und Skandinavien mit dem Ausländerwahlrecht auszuwerten und es besser zu machen, wird rigoros entschieden: „Die Gesellschaft ist noch nicht bereit dazu.“ Eine Wahlrechtsreform würde die Bürger in Angst versetzen und Le Pen Stimmen bringen, so sagen sie und wedeln sich mit Meinungsumfragen den Schrecken von der Stirn, den ihnen die eigene Courage eingejagt hat.

Doch der eigentliche Grund für die Kehrtwende der PS ist ein anderer. Nach Carpentras sucht Premier Rocard nach dem „Konsens aller republikanischen Kräfte“ und bittet zum Runden Tisch über Rassismus und Immigration. Die bürgerliche Opposition hat ihre Teilnahme davon abhängig gemacht, daß Rocard dem Ausländerwahlrecht abschwört. Voila! Nachdem jetzt der Ausschluß von vier Millionen Bürgern festgeschrieben ist, kann in aller Einheit über den Inbegriff des Ausschlusses, den Rassismus, geredet werden. Realpolitische Dialektik.

Einem zweifelhaften und brüchigen Konsens mit den Politikern der Rechten wurde ein möglicher Konsens der Gesellschaft geopfert. Statt offensiv die Frage des Wahlrechts anzugehen und Flagge zu zeigen - selbst wenn die „Front National“ dadurch ein paar Stimmen mehr bekommen hätte - wurde schlicht kapituliert. Mimesis statt Konfrontation.

Am Montag ist Frankreich auf die Straße gegangen, mit dem Gelben Stern am Revers. Aus Solidarität mit der jüdischen Gemeinde - aber auch, um gegen die Sorglosigkeit einer politischen Klasse zu protestieren, die das schlechte Bestehende verwaltet, wo Perspektiven gefragt sind. Die in ihrer Selbstbezogenheit Signallampen wie Le Pen erst ernstnimmt, wenn das eigene Wahlkalkül plötzlich nicht mehr aufgeht. Dabei folgte auf die Kapitulation bisher noch immer die Kollaboration - und nicht nur in den Romanen von Sartre.

Alexander Smoltczyk

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