"Lieber tot als Kommunist!"

■ Religiöse Überschwenglichkeit und dumpfer Nationalismus bei den Demonstranten auf dem Universitätsplatz in Bukarest/Täglich treten neue Redner und Liedermacher auf dem Balkon der Universität auf/Ihr ...

„Nieder mit dem Atheismus!“, brüllt eine heisere Stimme vom Balkon der Bukarester Universität. Tausende wiederholen den Satz und knien nieder. Wer stehen bleibt, wird sofort als Kommunist oder als Anhänger der Front zur nationalen Rettung beschimpft - zu Handgreiflichkeiten kommt es jedoch nicht. Die hier versammelten Bukarester sind Gegner der Front „Antikommunisten“, wie sie sich selbst bezeichnen, oder „Golans“, Rowdies, wie sie Präsident Iliescu kürzlich abqualifiziert hatte. Stolz haben sie diesen Begriff zum Ehrentitel umfunktioniert.

Alle sind freundlich, immer bereit, Auskunft über die Gefährlichkeit des Gegners zu geben, den sie überall vermuten, auch in den eigenen Reihen. Die Securitate, diese schreckliche Hinterlassenschaft des Ceausescu-Regimes, hat in den Köpfen der Leute tiefe Spuren zurückgelassen. Das Mißtrauen sitzt tief. Am größten ist die Angst diese Leute vor einem erneuten Machtantritt der Front Iliescus, die als neokommunistische Partei verschrien wird.

Der Kampf gegen Iliescu, dessen populistisches Charisma die Demonstranten auf dem Bukarester Universitätsplatz ebenso kalt läßt wie die auf dem Temeswarer Opernplatz, wird in schrilen Tönen ausgefochten. Die religiöse Überschwenglichkeit, kombiniert mit dumpfen nationalen Sprüchen, zeugt von jahrzehntelang unterdrückten Gefühlen, die jetzt ins Kochen geraten. Selbst die mit den Gesetzen der Vernunft vertrauten Mathematikstudenten geraten in Ekstase. Die Freude darüber, die Staatsmacht provozieren zu können, äußert sich in Volksfeststimmung. Jeder kennt die Texte der immer wieder angestimmten Lieder: „Lieber tot als Kommunist.“

Ein junger Schauspieler empört sich in einer glänzenden Rede über grobe Manipulation und Verunglimpfung. Vor einigen Tagen hatten Unbekannte Fotos unter den Demonstranten verteilt, auf denen er in der Uniform der faschistischen Legionäre abgebildet war. Eine Zeitung der „Front“ veröffentlichte prompt einen Artikel, in dem er als Legionär diffamiert wurde. Doch die Fotos stammten aus einem Film, in dem er die Rolle eines Legionärs gespielt hatte. „Nieder mit dem Kommunismus, nieder mit dem Faschismus!“, schließt er seine Ansprache. „Nieder mit dem Kommunismus, nieder mit dem Faschismus!“, antwortet die Menge.

Ungestört verkauft ein fliegender Händler an einer Straßenecke die neue Zeitung 'Natiunea‘ (Die Nation). Auf dem Titelblatt prangt der frühere rumänische Diktator Antonescu, der sich als treuer Verbündeter Hitlers am Überfall auf die Sowjetunion beteiligt hatte. Antonescu sei ein Patriot, ein genialer Stratege und großer Rumäne gewesen, belehrt das Blatt seine Leser. Dieser Staatsmann habe nur die von der UdSSR annektierten östlichen Gebiete Rumäniens, Bessarabien und die Nordbukowina, dem größten Verbrecher aller Zeiten namens Stalin entreißen und dem Vaterland wieder einverleiben wollen. Daß die rumänischen Truppen Odessa besetzt hatten und bis nach Stalingrad vorgestoßen waren, verschweigt die Zeitung. Herausgegeben wird sie von dem Millionär Iosif Constantin Dragan, der aus Rumänien stammt und in Italien lebt. Chefredakteur Artur Silvestri ist als eifriger Verfechter des Ceausescu -Nationalismus bekanntgeworden.

In der 'Nation‘ wird die nationalchauvinistische Gruppe „Vatra Romaneasca“ als „wahre rumänische Organisation“ beschrieben, die jeder gute Rumäne unterstützen müsse. Derlei hatte bisher nur die Republikanische Partei verkündet, die mit der „Vatra Romaneasca“ ein Koalitionsabkommen abgeschlossen hat und unter der Bezeichnung „Allianz für die Einheit der Rumänen“ an den Wahlen teilnimmt.

Um die Gunst der „Allianz“ buhlt allerdings auch die „Front zur nationalen Rettung“ recht unverhohlen. Auch die Demonstranten, die seit mehr als drei Wochen auf dem Bukarester Universitätsplatz einen antitotalitären Marathonlauf veranstalten, schließen eine Regierungskoalition zwischen „Front“ und „Allianz“ nach einem Wahlsieg von Iliescus Front nicht mehr aus. Überall sehen sie das wiederauferstandene Gespenst des Kommunismus, dem sie das Bekenntnis zum orthodoxen Christentum entgegensetzen. Und das Bekenntnis zur Einheit der Nation, das die Rumänen in der sowjetischen Republik Moldavien miteinschließt. Die Moldavier ihrerseits lassen ihrem Unmut über den Wahlkampf von Iliescus Front in Solidaritätsadressen und Appellen an die Demonstranten freien Lauf.

Auf dem Balkon der Budapester Uni treten täglich Dutzende von Rednern und Liedermachern auf. Als Redner melden sich auch solche zu Wort, die früher Ceausescu Lobeshymnen gewidmet haben und sich nun offen als Vorkämpfer der rumänischen Orthodoxie präsentieren. Einer davon ist Ion Alexandru, gegenwärtig Vizevorsitzender der Zaranisten (Bauernpartei). „Ein Volk, das nicht mehr beten kann, wird aus der Geschichte verschwinden“, schleudert er den Versammelten entgegen. „Wir sind Rumänen, und wir werden ewig diesen Boden beherrschen“, singt eine Frau vom Balkon. Alle stimmen mit ein. „Victorie!“, „Sieg!“, brüllt ein anderer. „Es lebe die Moldau, die Walachei und Siebenbürgen!“, skandiert die Menge. Und wieder: „Nieder mit dem Kommunismus, nieder mit der Front, nieder mit Iliescu!“

William Totok, Bukarest