Einen Monat Regierung de Maiziere

■ Was die Minister vereint und was sie trennt / Gibt es eine Differenz zwischen offiziellen und wirklichen Intentionen der Regierenden? / Ist das Volk von der Macht erneut abgeschnitten? / Minister Meyer: „Diese Regierung setzt niemand ab.“

Berlin (taz) - Einen Monat nach der Regierungserklärung von Ministerpräsident de Maiziere, die „laut gelobt und schnell vergessen wurde“ ('Die Zeit‘), zeichnet sicher immer deutlicher ab, was es für die DDR- Bevölkerung bedeutet, vom de Maiziere-Kabinett regiert zu werden.

Was die DDR-Regierenden vereint, ist die verbale Ablehnung der Politik der SED. Da konnte ein ehemals kritisches Verhalten zur SED-Politik schon mal als Befähigungsnachweis für einen Ministerposten gelten. Cordula Schubert (CDU), Minister für Jugend und Sport, berichtete, wie ihr das Amt angetragen wurde: „Ich habe gezögert. Dann erinnerte man mich: 'Sie kritisierten die alte DDR, wo es Kritik zu üben galt. Nun erhalten sie die Chance, es besser zu machen.‘ Ich folgte dieser Logik.“ Mit dem besser machen ist das freilich so eine Sache. Denn selbst Minister, bei denen im Unterschied zu Schubert Zweifel an ihrer fachlichen Kompetenz weniger angebracht erscheinen, haben Schwierigkeiten, ihre politischen Ambitionen anders darzustellen als im Stile des Kritisierenden, aber Ohnmächtigen. So sprechen sie noch immer davon, was getan werden müßte. Bildungsminister Meyer fordert zum Beispiel Maßnahmen, durch die das Verantwortungsbewußtsein der Lehrer gestärkt werden soll, anstatt zu sagen, was dafür getan wird (8. 5.). Wenn Umweltminister Steinberg (CDU) angibt, daß für die 3.000 durch Schließungen von Schwelereien wegfallenden Arbeitsplätze neue geschaffen werden können zum Beispiel durch die Herstellung von Umwelttechnik, dann sind von einem Mann, der politisch Verantwortung trägt für diese Entwicklungen, auch Angaben darüber zu erwarten, was er dafür tun will und kann (24. 4.).

Die Kritik an der Politik der SED mündet bei den verschiedenen Ministern zumeist in einer Benennung der Krise, in der sich die DDR befindet. Steinberg beschreibt die Situation folgendermaßen: „Das Ausgangsniveau ist so, daß man mit Optimismus in die Zukunft gehen kann, weil es nämlich nicht mehr schlechter werden kann, sondern nur noch besser.“ Nun ist es noch keine politische Leistung, die Probleme eines Bereiches aufzulisten, um dann anzugeben, wieviel Geld man gebrauchen könnte, um diese Probleme zu beseitigen. Entwicklungsminister Ebeling (DSU) sprach aus, was das Credo der Regierung ist: „Die DDR wird in den nächsten Monaten eine große Menge Geld von der BRD benötigen.“ Für Gesundheitsminister Kleditzsch (CDU) ist bundesdeutsche Hilfe unverzichtbar, um die verschlissene Bausubstanz im Gesundheitswesen zu sanieren und dem internationalen Stand anzugleichen. Verkehrsminister Gibtner (CDU) spricht von 200 Milliarden Mark die gebraucht werden, um die Verkehrsinfrastruktur zu verbessern. Wobei zu fragen ist, was denn der Maßstab ist, wenn vom Gleichgewicht in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen die Rede ist. Gemeint wird zumeist BRD-Standard, wobei Hinweise, daß man auch über das hinauszugehen gedenkt, was dort Norm ist (Steinberg), bei der BRD-Regierung nur ein kaltes Lächeln hervorrufen dürfte.

Bei demokratisch gewählten Regierungen, die eigenverantwortlich über die Geschicke des Landes zu befinden haben, ist es Aufgabe der Politik, eine Harmonisierung der gesellschaftlichen Bereiche im Rahmen des Machbaren zu fördern. Die DDR-Regierung scheint dieser Anforderung enthoben, da man gemeinsam Anspruch auf fremde finanzielle Mittel geltend macht.

Damit befinden sich die Mitglieder des de Maiziere -Kabinetts in einer historisch einmaligen Situation: sie sind durch die Umstände nicht gezwungen, das politische Vorgehen untereinander abzustimmen.

Bei Innenminister Diestel (DSU) kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sein Aktivismus und seine Leutseligkeit vor allem dem Zweck dienen, präsent und im Gespräch zu sein. Auffallend ist die Zurückgezogenheit, die Entwicklungsminister Ebeling (DSU) in seinen jüngsten Äußerungen an den Tag legt. Möglicherweise wirkt hier die „normative Kraft des Faktischen“, die freilich um so stärker ist, je weniger Fachkompetenz man dem Faktischen entgegenzusetzen hat. Ebeling, der mittlerweile zugibt, für kein anderes Ministerium als dem für wirtschaftliche Zusammenarbeit Kompetenz zu besitzen, kommt immerhin zu „erstaunlichen Einsichten“. So sei eine Erfahrung seines Nikaragua-Aufenthaltes, daß im Vergleich zu diesem die DDR, für deren Noch-Existenz er sich noch vor kurzem schämte, ein reiches Land ist.

Widersprüche in der Regierung werden aber deutlich, wenn „Fachminister“ die Ansprüche ihres Bereiches artikulieren und Lösungen vorschlagen. Da kann es schon mal vorkommen, daß der Umweltminister das Gegenteil von dem vorschlägt, was der Verkehrsminister will. Auf der einen Seite nämlich strebt Umweltminister Steinberg Maßnahmen an, die zur Durchsetzung des Verursacherprinzips führen, will er eine Preispolitik, die die Sanierung der Umwelt befördert. Damit intendiert er sicherlich darauf, daß man nicht dem Markt, den Kunden überlassen kann, eine umweltgerechte Lebensweise durchzusetzen (24. 4.). Im Gegensatz dazu setzt Verkehrsminister Gibtner rein auf den Markt: „Man muß dem Kunden überlassen, sich das günstigste Verkehrsmittel auszusuchen, um die Transporte auf dem kürzesten Weg und mit den geringsten Kosten zwischen den Zielen durchzuführen.“

Die DDR-Regierenden bewerkstelligen den Anschluß der DDR an die Bundesrepublik. Dafür brauchen sie niemand: Weder braucht ein Minister den anderen, noch die Koalitionsparteien das Parlament. Damit unterscheidet sich die neue Regierung - trotz aller Abgrenzungsversuche - in der wesentlichen Frage nicht von der ehemaligen SED -Regierung. Die neue Regierung benötigt auch nicht das Volk

-nicht einmal als Ziel ihrer Politik.

So steht zu befürchten, daß Bildungsminister Meyer recht hatte, als er am 10. Mai feststellte: „Diese Regierung setzt niemand ab.“ Ja, diese Regierung wird schon gar nicht von Menschen abzusetzen sein, die auf die Straße gehen und rufen: „Wir sind das Volk!“

Michael Wendt