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Lernen durch Spielen

■ Erstmals stellt ein Buch die Konzepte und Erfahrungen der Freien Schule Kreuzberg vor / Schwerpunkt sind konkrete pädagogische Erfahrungen / Entscheidungshilfe für Eltern und Denkanstöße für LehrerInnen

Seit neun Jahren gibt es jetzt die Freie Schule Kreuzberg, doch nur die wenigsten Wissen, wie der alternative Schulbetrieb von innen aussieht. Deshalb haben Adelheid Sieglin und Walter Goll jetzt erstmals in einem Buch die neuentwickelten pädagogischen Konzepte und Erfahrungen festgehalten. Die AutorInnen waren selbst mehrere Jahre in der Freien Schule Kreuzberg tätig und nahmen sich letztes Jahr frei, um das Buch zu erstellen.

Schwerpunkt des Buches sind die konkreten pädagogischen Erfahrungen und Methoden, die aus der mehrjährigen Tätigkeit der beiden Autoren an der Freien Schule Kreuzberg hervorgingen. An zwei Beispielen, an Mathematik und Deutsch, wird gezeigt, daß das Lernen in der Schule nicht immer Druck und Streß nach sich ziehen muß. Ausgangspunkt soll immer das bereits bei den Kindern vorhandene Grundinteresse an den Kulturtechniken sein. Dieses Grundinteresse konnten die AutorInnen zwar im praktischen Unterricht feststellen, im Buch untersuchen sie es jedoch nicht näher. Die von Psychologen heftig diskutierte, von (Staats-) SchullehrerInnen aber immer bestätigte „Kulturfeindlichkeit“ wird hier völlig übergangen.

An praktischen Beispielen werden zunächst die Problemstellungen gesucht, dann erst kommt die Problemlösung. Bei der Mathematik zum Beispiel untersuchen die Kinder zunächst, was sie mit Addieren und Multiplizieren anfangen könnten - dann erst kommt das Lösen konkreter Aufgaben. Besonders berücksichtigt wird dabei auch die Historie, wie zum Beispiel in der Antike gerechnet wurde. Römische und lateinische Zahlen werden parallel eingeführt. Diese alten Techniken sind für die Kinder häufig besser nachvollziehbar als die modernen, so die Erfahrungen der AutorInnen.

Einer der Grundpfeiler der Freien Schule Kreuzberg und auch Schwerpunkt des Buches ist das Spiel. Aus der Beobachtung des Spielens, so die AutorInnen, sind die neuen Unterrichtskonzepte entstanden. Eine Trennung in Arbeit, Lernen und Spielen gehe immer am Wesen des Spielens vorbei, und bei immer mehr Kindern müsse das Spielen erst wieder gelernt werden. Als Beispiel schildern die AutorInnen, wie die Kinder ein schrottreifes Auto auseinandernehmen und dabei Gruppendynamik und Rollentausch entstehen.

Am Ende des Buches gehen die AutorInnen auch auf das Mitwirken der Eltern bei einer Freien Schule ein. Häufig fühlten sich Eltern und PädagogInnen als Konkurrenz. Statt dessen müsse auch hier erst die Zusammenarbeit gelernt werden. Gegenseitiger Erfahrungsaustausch und Beratung sollen zukünftig neue Impulse bringen.

Die Entstehung und die Probleme bei der Gründung der Freien Schule Kreuzberg sowie die Auseinandersetzung mit der Schulaufsicht werden nur kurz geschildert. Diese Informationen gelten lediglich als Hintergrund. Für Eltern und Pädagogen ist das Buch sicher empfehlenswert, und die entwickelten pädagogischen Konzepte sind auch unabhängig von der Freien Schule Kreuzberg zu gebrauchen. Und auch wenn es keine Einführung in die grundsätzlichen Fragen, ob nun freie oder staatliche Schule besser ist, enthält, könnte es für viele Eltern eine Entscheidungshilfe sein.

Rochus Görgen

Das von den AutorInnen selbst herausgegebene, knapp 130seitige Buch kann zum Preis von 28 Mark unter 312 11 95 bestellt werden.

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