Lady Jekyll und Miss Hyde

Die raschen Metamorphosen der Tennisspielerin Monica Seles, die bei den Internationalen Deutschen Tennismeisterschaften der Frauen das Finale gegen Steffi Graf erreichte  ■  Aus Berlin Matti Lieske

Außerhalb des Tennisplatzes ist die Jugoslawin Monica Seles eine ausgesprochen friedvolle und liebenswürdige Person. Mit wallender Haarmähne, die sie beim Tennisspielen auf geheimnisvolle Art zu einem winzigen Zöpfchen zusammenquetschen kann, monströsen Ohrringen, sorgfältig geschminktem Gesicht und wohlgesetzten, ausführlichen Repliken auf alle Fragen, seien sie noch so dumm, wirkt die gerademal 16jährige bereits wie eine gestandene Tennislady, erwachsener als Steffi Graf und Gabriela Sabatini zusammen. Charmant und souverän plaudert sie über dies und jenes, nur ein gelegentliches eruptives glucksendes Kichern läßt manchmal das wahre Alter des frühreifen Tennisgenies durchschimmern. Aber auch ihr berühmtes „Giggling“ hat sie bereits stark reduziert.

Wenn Monica Seles jedoch einen Tennisschläger in die Hand nimmt, wird aus Lady Jekyll eine für jede Gegnerin recht garstige Miss Hyde. Die Augen verengen sich zu Schlitzen und bekommen den gefährlichen Glanz einer mißgelaunten Katze, mit funkensprühenden Blicken und gefletschten Zähnen prügelt sie auf die Bälle ein, daß diesen fast die Luft ausgeht. Meist visiert sie, den Schläger mit beiden Händen fest umklammert, die geschundenen Filzkugeln auf dem höchsten Punkt ihrer Flugbahn an, zieht sich förmlich zu einer Kugel zusammen, versammelt alle Zentrifugalkräfte des Universums in der Mitte ihres Rackets, beschleunigt den Schwung genau im richtigen Augenblick und explodiert in einem verheerenden Vor- oder Rückhandschlag, dem die Dame auf der anderen Seite meist nur konsterniert hinterherblicken kann.

Ihre Halbfinalgegnerin beim Berliner Turnier, die Hobbyfußballerin Sandra Cecchini aus Italien, kam jedenfalls nur höchst selten dazu, ihr spitzbübisches Grinsen aufzusetzen, mit dem sie normalerweise besonders schöne Punktgewinne feiert. Weder ihre großartigen Stopps, die im Achtelfinale Gabriela Sabatini zermürbt hatten, brachten Erfolg - sie wurden von der schnellen Jugoslawin erlaufen noch ihre plazierten Grundlinienschläge - Seles übte so viel Druck aus, daß fast immer Cecchini die Fehler machte.

Nur zu Beginn des zweiten Satzes konnte die Italienerin, nachdem sie den ersten mit 1:6 verloren hatte, mithalten, wofür Monica Seles allerdings eine einleuchtende Erklärung hatte. Sie sei unkonzentriert gewesen, weil sie sich die ganze Zeit noch über einen phänomenalen Ball Cecchinis nach vorzüglichem Stopp ihrerseits gewundert habe: „Ich dachte nicht, daß sie überhaupt in die Nähe kommen könne, und dann machte sie mit einem Gegenstopp den Punkt.“ Lange ließ sie sich von ihrer Bewunderung aber nicht aufhalten, beim Stande von 3:3 faßte sie sich und gewann den zweiten Durchgang mit 6:3.

Das Ziel von Monica Seles zu Beginn des Jahres war es, die Nummer drei in der Weltrangliste zu werden. Dieses Ziel hat sie bereits erreicht, obwohl das Jahr für sie gar nicht gut begann. Bei den ersten Turnieren schied sie früh aus, was ihrer Meinung nach schlicht daran lag, daß sie seit ihrem Profi-Debüt vor einem Jahr um runde zehn Zentimeter gewachsen ist: „Früher brauchte ich mich beim Schlag nie zu bücken, ich war ja schon unten“, erzählt sie kichernd, „es war nicht leicht, mich daran zu gewöhnen, bei jedem Ball in die Knie zu gehen.“ Aber auch dieses gravierende Problem löste sie schließlich, und seit sie Ende März das Turnier von Key Biscayne gewann, verlor sie keinen einzigen Satz mehr. Nacheinander holte sich Monica Seles die Titel von San Antonio, Tampa und Rom, wo sie die Weltranglistenzweite Martina Navratilova mit 6:1, 6:1 besiegte, deren Rang sie nun begehrt. „Doch das wird ganz besonders schwer“, meint sie, „es kommt darauf an, wer die Grand-Slam-Turniere besser spielt.“

23 Matches in Folge hat sie gewonnen, ein Pappenstiel im Vergleich zur Serie von Steffi Graf, die seit ihrer Finalniederlage gegen Arantxa Sanchez bei den French Open 1989 66mal hintereinander als Siegerin den Platz verließ und dem Rekord Navratilovas (74) schon greifbar nahe ist. Am Samstag hatte sie trotz nicht ganz optimalen Spiels keine große Mühe, mit einem 6:4, 6:2 gegen Natalia Zwerewa aus Minsk ebenfalls das Finale zu erreichen. Für Seles war der Ausgang des Endspiels, das nach Redaktionsschluß dieser Seite zu Ende ging, keine Frage: „Ich werde wohl verlieren“, prophezeite sie ein wenig tiefstaplerisch.