: Mazedonier fordern ihre Rechte ein
■ Griechenland leugnet die Existenz einer mazedonischen Minderheit / Proteste in Jugoslawien
Belgrad (ap/taz) - Mehrere zehntausend Bürger der jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien haben am Samstag drei Grenzübergänge nach Griechenland blockiert. Mit Straßensperren aus Lastwagen, Bussen und landwirtschaftlichen Fahrzeugen protestierten sie gegen die fortdauernde Weigerung der griechischen Regierung, der slawo -mazedonischen Bevölkerungsgruppe Minderheitenrechte zuzuerkennen. Griechenland wurde zudem aufgefordert, den Visumzwang für Jugoslawen aufzuheben.
Die Proteste fanden die Unterstützung der jugoslawischen Regierung. Der Vertreter Mazedoniens im jugoslawischen Staatspräsidium, Tupurkovski, sprach von einem „Test für die europäische Demokratie“. Jugoslawiens Außenminister Loncar forderte ein dringendes Treffen mit seinem griechischen Amtskollegen.
Unabhängig davon, daß dieser Nationalitätenkonflikt eine leichte Beute der serbischen Nationalisten und ihres Anhangs in Mazedonien werden kann, ist die Klage der Mazedonier gegenüber Griechenland berechtigt. Die griechische Regierung weigert sich nach wie vor, die Existenz einer slawo -mazedonischen Minderheit überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Schulbücher in mazedonischer Sprache (sie ist dem bulgarischen verwandt und wurde erst mit der Gründung der mazedonischen Teilrepublik Jugoslawiens 1944 als Schriftsprache standardisiert) sind weiterhin in Griechenland verboten. Das griechische Parlament hat 1984 ein Gesetz verabschiedet, das an der mazedonischen Universität Skopje abgelegten Diplomen die Anerkennung verweigert, da sie nicht in einer allgemein anerkannten Sprache abgefaßt seien. Zwar wurde unter der Papandreou -Regierung der Gebrauch des Mazedonischen bei öffentlichen Anlässen wie Hochzeitsfeiern nicht mehr verfolgt. Aber das Mazedonische bleibt eine verachtete, nur im bäuerlichen Familienrahmen geduldete „Zweitsprache“.
Wieviel Slawo-Mazedonier es wirklich gibt, ist ungewiß. Englische Quellen schätzen ihre Zahl auf 100-250.000. Daß sich in den letzten Jahrzehnten wenig Mazedonier zu ihrer slawischen Sprache bekannten, hängt mit dem griechischen Bürgerkrieg nach 1945 zusammen. Die griechischen Kommunisten fanden bei den Slawo-Mazedoniern starke Unterstützung. Nach deren Niederlage mußten viele Tausende Mazedonier in die sozialistischen Länder fliehen. Wer blieb, zog es vor, in der Öffentlichkeit griechisch zu sprechen. Heute leben die Mazedonier teils in ihrer eigenen jugoslawischen Republik (die „Vardar“), teils in Bulgarien (die Pirin) teils in Griechenland (die ägäischen Mazedonier). Da ein unabhängiges Mazedonien weder gefordert wird noch ohne Krieg realisierbar wäre, bleibt nur die Respektierung der mazedonischen Minderheitenrechte.
In der griechischen Öffentlichkeit, die bisher gegenüber den Slawo-Mazedoniern einr strikte Hellenisierungslinie verfolgte, regen sich jetzt selbstkritische Stimmen. In einem Aufsatz der Zeitschrift 'Pogrom‘ zu den Slawen Griechenlands wird z.B. auf eine Gruppe um die Zeitschrift 'Scholiastis‘ verwiesen, die die bisherige Praxis der griechischen Regierung als „Unterdrücken, Ausgrenzen, Bespitzeln“ beschreibt. Griechenland müsse sich, heißt es in der 'Scholiastis‘ vom September letzten Jahres, „von der Vorstellung befreien, die Anerkennung einer nationalen Minderheit bedeutet das Ende des griechischen Staates“.
Christian Semler
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