: „Es nützt uns nichts, zurückzuschauen“
Sam Nujoma, der erste Präsident eines unabhängigen Namibia, sieht die Zukunft seines Landes optimistisch / Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitswesen haben Vorrang / Die „Politik der nationalen Versöhnung“ soll den Neuanfang sichern / „Wir sind ein reiches Land“ ■ I N T E R V I E W
Wie in anderen postkolonialen Gesellschaften Afrikas erweist sich auch in Namibia die Hinterlassenschaft der Kolonialmacht als eine schwere Bürde für den jungen Staat. Im der letzten Kolonie Afrikas hinterließen die Südafrikaner ein vom Apartheidwahn gezeichnetes Land: Landwirtschaft und Administration waren jahrzehntelang in weißer Hand, die Mehrheit der Bevölkerung hatte nichts vom Reichtum des Wüstenstaates, da die meisten Produkte nicht einmal im Land weiterverarbeitet, sondern sofort nach Südafrika exportiert wurden. Mostafa Danesh sprach in Windhuk mit dem neuen Präsidenten der Republik, Sam Nujoma, der nach 25jährigem Exil erst vergangenen September in sein Land zurückkehren konnte.
taz: In Namibia haben wir viel Not und zum Himmel schreiende Ungerechtigkeiten gesehen, vor allem im Gesundheits-, Wohnungs- und Bildungsbereich. Welche Programme und Lösungen haben Sie anzubieten?
Sam Nujoma: Natürlich gehören Verbesserungen im Bildungssystem zu unseren Topprioritäten. Dafür werden wir große Teile unseres Staatshaushaltes ausgeben. Wir brauchen mehr ausgebildetes Personal, sonst wird es unmöglich sein, unsere Programme im landwirtschaftlichen Bereich zu realisieren. Wir brauchen dort ausgebildete Ingenieure, die wissen welche Art von Früchten, Gemüse oder Getreide wir in welcher Region unseres Landes in ausreichender Menge anbauen und produzieren können. Verbesserungen im Wohnungssektor und im Gesundheitswesen haben auch Priorität, wobei wir glauben, daß beide Sektoren eng miteinander verknüpft sind.
Von einem Arbeiter, der in krankmachenden Verhältnissen lebt, kann man nicht erwarten, daß er gesund und fit zum wirtschaftlichen Aufbau unseres Landes beiträgt. Hier in Katutura (Township vor der Hauptstadt Windhuk, d.Red.) können Sie Beispiele der Wohnungsmisere sehen, für die die südafrikanischen Kolonialisten verantwortlich sind.
Viele Ihrer afrikanischen Freunde rücken inzwischen von Nationalisierungen ab, und auch in Osteuropa gehört die staatlich gelenkte Wirtschaft der Vergangenheit an.
Wir werden keine völlige Nationalisierung der Wirtschaft durchführen. Sollten wir einige Betriebe nationalisieren, dann werden wir zudem Entschädigungen zahlen. Es wird jedoch eine Landreform geben, um zu gewährleisten, daß in Namibia alle die Möglichkeit haben, Landbesitz zu erwerben. Heute gehört das Land zu nahezu 85 Prozent einer Minderheit von weißen Siedlern, während die Mehrheit des Volkes nur kleine Parzellen besitzt. Und die liegen in entlegenen Regionen des Landes, die nahezu unfruchtbar und ohne Wasser sind. Wir müssen also etwas ändern - wir können es nicht hinnehmen, daß einer Minderheit von Landbesitzern Millionen von Landlosen gegenüberstehen.
Was geschieht mit den produktiven Farmen?
Wir werden die kommerziellen Farmen ermutigen, ihre Produktivität zu steigern, zum Beispiel durch den Ausbau des Viehbestandes, um die Fleischproduktion für den internen Verbrauch und den Export zu erhöhen. Farmen sind die Lebensadern eines Landes. Außerdem werden wir in Kürze ein Gesetz verabschieden, das die 200-Meilen-Zone an den Küsten unseres Landes einführen wird. Dies ist wichtig für die Entwicklung und eigene Ausbeutung unseres reichen Fischbestandes. Bisher wurden diese Vorkommen von den südafrikanischen Kolonialisten hemmungslos geplündert.
Ihr Land ist aber nach wie vor wirtschaftlich nahezu total abhängig von Südafrika. Wie wollen Sie eine unabhängige namibische Wirtschaft aufbauen?
Die Abhängigkeit von Südafrika war Teil der Politik der kolonialistischen Administration in Namibia. Ziel war, durch die Abhängigkeit eine hoffnungslose Situation zu schaffen, in der das Volk von Namibia nicht in der Lage sein sollte, für seine Freiheit zu kämpfen. Aber Namibia ist potentiell reich genug, um ökonomisch auf eigenen Füßen zu stehen, wenn es uns gelingt, unsere Programme zu verwirklichen. So auf dem Gebiet der Landwirtschaft, um genügend Nahrung selbst produzieren zu können oder durch den Aufbau einer Textilindustrie. Wir haben Fisch und genug Fleisch, um sogar nach Südafrika exportieren zu können.
Noch immer gibt es keine Lösung für das Problem „Walfischbucht“. Südafrika beansprucht diesen für Namibias Im- und Export so lebenswichtigen einzigen Tiefseehafen für sich.
Wir werden mit Sicherheit alle notwendigen Schritte unternehmen und auch mit Südafrika verhandeln, um zu gewährleisten, daß Walfischbucht in das unabhängige Namibia integriert wird. Das ist schließlich Teil der UNO-Resolution 435 von 1978.
Noch sitzen auch Tausende von Südafrikanern in Namibias Administration. Polizei und Armee wurden von Pretoria gedrillt und bezahlt.
Wir haben bereits damit begonnen, eine vereinte nationale Armee und Polizei zu bilden und zu trainieren. Wir können es nicht zulassen, daß im Land solche Gruppen außerhalb der Kontrolle des Staates existieren. Das bedeutet, daß ehemalige Mitglieder der SWAFT und Koefoet (von Südafrika ausgebildete und kontrollierte Sondereinheiten zur Bekämpfung der Swapo) und Kämpfer unserer Armee PLAN (bewaffneter Arm der Swapo) gemeinsam das künftige Rückgrat von Armee und Polizei bilden werden.
Werden die Ex-Mitglieder der Sicherheitskräfte, die in der Vergangenheit für Massaker und Terror verantwortlich waren, vor Gericht gestellt?
Wir haben eine Politik der nationalen Versöhnung und Einheit verkündet. Das bedeutet, daß wir die traurige Geschichte des Befreiungskampfes von den Tagen der deutschen Kolonisierung an und unter der südafrikanischen Herrschaft hinter uns lassen wollen. Wir beginnen jetzt ein neues Kapitel in der Geschichte Namibias. Heute müssen wir uns vereinen und sicherstellen, daß wir für die gemeinsame Zukunft arbeiten. Es nützt uns nichts, zurückzuschauen.
Wie werden die zukünftigen Beziehungen zu Südafrika aussehen?
Wir haben die jüngsten Erklärungen des Präsidenten de Klerk über den Beginn von Verhandlungen mit den wahren Vertretern des südafrikanischen Volkes begrüßt. Wenn es einmal ein nichtrassistisches, demokratisches Südafrika geben wird, dann werden wir keinerlei Probleme mit unserem großen Bruder im Süden mehr haben.
Empfinden Sie Haß gegen die weiße Minderheit, und wie stehen die Chancen für eine wirkliche nationale Versöhnung?
Es war immer klare Aussage von Swapo - auch während der Wahlen -, daß wir niemals gegen die Weißen als Individuen kämpften, sondern gegen das koloniale System, gegen die Unterdrückung und Ausbeutung der afrikanischen Mehrheit durch die Minderheit der weißen Siedler. Jetzt ist der Kolonialismus zerbrochen, das Volk von Namibia ist frei. Nicht die Hautfarbe zählt nun, sondern der Wille, etwas für die Gesellschaft zu tun, in der sie oder er lebt.
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