: Was wird aus den Stasi-Akten?
Bürgerkomitee Leipzig kämpft um Fortführung seiner Arbeit / Die Stasi-Akten dürfen nicht in die alleinige Verfügung der Exekutive / Unabhängiges Dokumentationszentrum zur Erinnerung vorgeschlagen / Überprüfung der Stasi-Juristen-Ausbildung gefordert ■ Aus Leipzig Stefan Schwarz
Die sicherheitsspendende Aura wird das Hauptgebäude der mittlerweile versunkenen Staatssicherheit in Leipzig doch nicht los. Eine Versicherungsgesellschaft wird dort in Kürze ihre Policen stapeln. Jetzt lagert dort allerdings noch ein Schriftgut, das gänzlich andere Sicherheiten dokumentiert.
Um die Zukunft dieser herrenlosen MfS-Akten ging es letzte Woche auf einer Pressekonferenz des Bürgerkomitees. Mit dem Schicksal der Akten unmittelbar verschränkt ist nämlich auch das Schicksal des Bürgerkomitees, das sich als einzige Garantie dafür sieht, daß die Akten nicht im Dunkel der neuen Exekutive verschwinden. Nach den Vorstellungen des Bürgerkomitees sollte ein bezirklich einzurichtendes Dokumentationszentrum dafür Sorge tragen, daß die „politische Auflösung“ der Staatssicherheit zu Ende geführt werden kann. Denn just in dem Moment, wo die offizielle Struktur des ehemaligen MfS zerstört ist und sich das Bürgerkomitee der inoffiziellen Struktur, sprich der „queckenhaften Verwucherung“, wie es im offenen Brief des Komitees an die demokratischen Parteien der Stadt Leipzig heißt, zu widmen beginnt, droht das Aus für die Auflöser.
Die Freistellungen wurden von der Regierung de Maiziere nicht verlängert, das Gebäude muß geräumt werden, und ein neues Gebäude für die Aktenlagerung, obwohl von allen Leipziger Parteien gemäß dem Votum des Runden Tisches gewünscht, ist nicht in Sicht. Darum bat das Bürgerkomitee im offenen Brief um vermehrte materielle Unterstützung und soziale Sicherstellung der Bürgerkomiteemitglieder, die in Zeiten wirtschaftlichen Wandels mit ernsthaften beruflichen Nachteilen zu rechnen hätten. Mindestens vier Vollbeschäftigte wären vonnöten, um die Aktensichtung und -einlagerung weiterzubetreiben. Dies ist Voraussetzung, um die Akten des ehemaligen MfS einer historischen Aufarbeitung zugänglich zu machen.
Die Rehabilitierung Geschädigter benötigt ebenfalls den demokratisch kontrollierten Zugriff auf das Aktenmaterial. Bislang wurden ehemalige politische Gefangene vom Bürgerkomitee angeschrieben und dem Bezirksgericht die entsprechenden Unterlagen zur Rehabilitierung (das sind derzeit etwa 50 Vorgänge) verfügbar gemacht.
Die Herkunft des Widerstandes gegen diese weitreichende Aufarbeitung scheint für das Bürgerkomitee offensichtlich. Der Terminus „inoffizielle Strukturen“ umschreibt die Zusammenarbeit von Räten, Volkspolizeidienststellen, ärztlichen und militärischen Leitungsebenen, Betrieben und Institutionen mit der Staatssicherheit, sozusagen das sicherheitspolitische Gesamtkunstwerk, das die realsozialistische Gesellschaft zusammenhielt. Daß die Verfolgung dieser alltäglichen Kollaboration den Frieden des marktwirtschaftlichen Aufbaus samt Wiederbelebung der Geheimdienste nur stören kann, gilt im neugepolten Staatsapparat für ausgemacht.
Um so mehr werben die Mitglieder des Bürgerkomitees Leipzig für ein unabhängiges Dokumentationszentrum, das im Zusammenspiel mit dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß die „Entsorgung“ der Vergangenheit nicht allein dem Innenminister, der letztendlich Verfügung über das Schriftgut des aufgelösten MfS hat, überlassen bleibt. „Kein einzelnes verfassungsmäßiges Organ darf die alleinige Herrschaft über die Akten ausüben“, heißt es im offenen Brief. Die Gefahr, daß Informationen und Funktionen der Stasi auf die mit neuem „Selbstbewußtsein“ ausgestattete Exekutive übergehen, ist groß. Schon verlangen VP und NVA die Übergabe der sie betreffenden Aktenmaterialien.
Exemplarisch verlangte das Bürgerkomitee deshalb auf der Pressekonferenz ebenso wie in einem Brief an das Präsidium der Volkskammer die Überprüfung der Qualifikation der Diplomjuristen, die an der Stasi-eigenen Hochschule in Potsdam ausgebildet wurden. Als zusätzlichen Anlaß öffentlichen Argwohns bezeichneten sie die Einstellung der bezirklich eröffneten Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen für die Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses durch den Generalstaatsanwalt. Eine Begründung durch den Generalstaatsanwalt ist bisher nicht erfolgt. Allerdings wurde anerkannt, daß rechtliches Gebaren gegenüber einer Vergangenheit des Unrechts widersinnig sei.
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