: Die Schönheit des Häßlichen
Aus einem Gespräch mit „Taxi-Blues„-Regisseur Pavel Lungin, dem neuen Enfant terrible des sowjetischen Kinos / „Kunst ist entweder erlaubt, wie sie ist, oder es gibt sie nicht!“ ■ I N T E R V I E W
taz: Herr Lungin, warum haben Sie bisher zwar Drehbücher geschrieben aber nie einen Film gemacht?
Pavel Lungin: 1968, als Schluß war mit der Liberalisierung unter Chruschtschow, war ich 17. Ich begriff damals, daß es eine offizielle Kultur gibt und eine „Küchenkultur“ - sie entstand im Freundeskreis, zu Hause, am Küchentisch. Die freiesten Menschen lebten damals im Untergrund, in Randgruppen, als Schwarzmarkthändler, als Prostitierte. Ich trieb mich in diesem Moskauer Nachtleben herum - es war der Versuch, frei zu sein.
Mein Vater kam nach dem Zweiten Weltkrieg zum Film, als das sowjetische Kino noch sehr jung und hoffnungsvoll war. Er arbeitete mit großen Regisseuren wie Klimov und Bikov. Er und seine Generation pflegten mit den Zensoren zu feilschen: Ich gebe dir diese Szene, wenn ich jene dafür behalten darf. Mir war es schon zuviel, nur in ihre Büros zu gehen und diese Gesichter zu sehen. Ich schrieb Kinder- und Abenteuerfilme und hielt mich raus. Entweder die Kunst ist erlaubt, so wie sie ist, oder es gibt sie nicht.
Meine Generation hatte bereits gute Filme aus dem Westen gesehen, aus den USA und Europa, und wir hatten begriffen, daß Kunst nicht im Schacher mit Bürokraten entsteht. Ich wollte und konnte keinen Krieg führen um Dialogsätze und Szenen.
Läuft „Taxi Blues“ in der Sowjetunion?
Nein, ich weiß nicht, ob er überhaupt laufen wird. Kleine Vera verursachte einen Skandal, und mein Film wirft einen ähnlichen Blick auf die erdrückenden Verhältnisse in Russland.
Der Moskauer Filmmarkt wird momentan gerade überschwemmt von amerikanischen B-Pictures und Imitationen von amerikanischen B-Pictures, die für den schnellen Profit gemacht werden. Das ist sehr gefährlich für das sowjetische Kino. Koproduktionen wie diese für „Taxi Blues“ mit Frankreich können dagegen helfen, den europäischen Filmen ein wenig Identität zu bewahren.
Welchen Einfluß haben westliche Filmemacher auf Ihre Arbeit?
Ich bin Schüler einer Periode des amerikanischen Kinos, die leider zu kurz war: Dazu gehören der junge Schlesinger, der junge Robert Altman, Dustin Hoffman und Jack Nicholson. Da fand ich die Energie der großen Städte und die Schönheit des Häßlichen.
Ich glaube nicht an Ästhetik, an das „schöne“ Schöne. Ich interessiere mich für die Schönheit des Mülls und des menschlichen Elends und wie aus Scheiße eine reine Empfindung hervorgehen kann - wie die Freundschaft, die im Film aus der Armut der Straße entsteht.
Das vollständige Gespräch, das Marcia Pally mit Lungin in Cannes führte, wird morgen auf den Kulturseiten veröffentlicht
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