: Hochexplosives Spiel mit Radiobotschaften
Trotz Ausnahmezustand dauern in Israel die massiven Palästinenserproteste weiter an und weiten sich auf die arabischen Orte in Israel und auf Jordanien aus / USA gehen auf zunehmende Distanz zur Schamir-Regierung / Arabische Staaten fordern UN-Dringlichkeitssitzung ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Nach den massiven palästinensischen Protesten gegen das Blutbad von Rischon le Zion, wo ein 21jähriger israelischer Ex-Soldat acht palästinensische Arbeiter erschoß, wurde das allgemeine Ausgehverbot, das die israelischen Militärbehörden über die besetzten Gebiete verhängt hatten, zunächst einmal bis zum Wochenende verlängert. Als flankierende Maßnahme wurde die Truppenstärke verdoppelt. Auch die Polizeikräfte in Ostjerusalem wurden erheblich verstärkt.
Doch nicht nur wegen der palästinensischen Protestunruhen, die sich längst von den besetzten Gebieten auf die arabischen Ortschaften im Kernland Israels und auf Jordanien ausgeweitet haben, kam es zu diesen Maßnahmen. Denn am heutigen Mittwoch wird in Jerusalem ein brisanter Feiertag begangen: der sogenannte „Jerusalem-Tag“. Diese israelische Feier findet seit 1967 alljährlich statt. Damit soll die Erinnerung an die „Befreiung“ Ostjerusalems im Sechs-Tage -Krieg und die anschließende Annexion der Jerusalemer Altstadt wachgehalten werden. Für die Palästinenser dagegen ist dies ein Tag der Trauer, eine stete Mahnung an die arabische Niederlage und an die Konfiszierung arabischen Landes.
Angesichts der großen Gefahr einer Konfrontation im Zusammenhang mit den Feiern zum „Jerusalem-Tag“ wird die Stadt und ihre Umgebung für Palästinenser systematisch abgeriegelt. Ein hochgradig explosives Spiel betreiben in dieser Situation die israelischen Militärbehörden. Wiederholt ließen sie über den israelischen Rundfunk verbreiteten, die PLO habe alle Palästinenser aufgerufen, nun zur Schußwaffe zu greifen. Nichts spricht für die Richtigkeit dieser gefährlichen Meldung. Der palästinensische Widerstand beschränkt sich - wie in den vergangenen 30 Monaten der Intifada - auf Steinwürfe und Molotow-Cocktails. Es besteht aber kein Zweifel, daß bei vielen Palästinensern Wut und Verzweiflung angesichts des jüngsten Massakers wachsen. Beinahe höhnisch wirkt in dieser Lage die Ankündigung, daß Israels Soldaten nun neben den alten Gummigeschoßen mit Metallmantel neue, angeblich harmlosere „Distanzwaffen“ verwenden sollen.
Auch in der jordanischen Hauptstadt Amman demonstrierten am Montag abend Tausende von Menschen gegen den Anschlag von Rischon le Zion und forderten Rache. Hunderte Demonstranten griffen am Abend das Hotel der amerikanischen Mariott-Kette in Amman an. Als der Demonstrationszug in Richtung auf die amerikanische Botschaft marschierte, riegelten Sicherheitskräfte und Anti-Aufruhr-Spezialeinheiten das Gebäude ab.
Zunehmend rückten die Vereinigten Staaten von der israelischen Regierung ab. Sie brachten die Gewalttätigkeiten, bei denen am Wochenende und am Montag in den israelisch besetzten Gebieten 18 Palästinenser getötet wurden, in Verbindung mit der ablehnenden Haltung Israels gegenüber den amerikanischen Friedensvorschlägen. Da ein Friedensprozeß fehle, wachse das Potential an „verrückten Gewalttätigkeiten“, erklärte der Sprecher des US -Außenministeriums, Richard Boucher, am Montag. Die USA seien über die Zahl der Menschen beunruhigt, die den Schüssen der israelischen Armee zum Opfer fielen, betonte er. Um solche Gewalttätigkeiten zu vermeiden, müsse die Friedenshoffnung bewahrt werden und ein „Wille zum Frieden“ bestehen, meinte Boucher. „Wir haben die israelische Regierung wiederholt aufgefordert, Zurückhaltung zu beweisen, um eine hohe Zahl von Opfern zu vermeiden.“ Doch dies sei nicht genug. „Wir brauchen insgesamt einen aktiven, lebensfähigen Friedensprozeß“.
Derweil hat PLO-Chef Arafat durch Vermittlung der Vereinten Nationen die USA um ein Visum gebeten, um an der Sitzung des UNO-Sicherheitsrates über die Lage in den besetzten Gebieten teilnehmen zu können. Mehrere arabische Staaten hatten am Montag eine dringliche Sitzung des New Yorker Weltsicherheitsrates beantragt, um die Situation in den von Israel besetzten Gebieten zur Sprache zu bringen.
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