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Aus dem Innenleben japanischer Wirtschaftsmacht

Eishiro Saito tritt heute seine dritte Amtsperiode als „Premierminister“ der Wirtschaft Nippons an / Der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes „Keidanren“ ist ein profilloser, aber perfekter Patriot / Er vertritt über tausend japanische Firmen / Die Philosophie der Unterordnung wird von ihm vollkommen verkörpert  ■  Aus Tokio Georg Blume

Wo die Macht in Nippon liegt - das ist das ungelöste Suchspiel. Westlichen Politikern hat es schon viel Kopfschmerzen bereitet. Doch ein Mann wird immer wieder besonders unter die Lupe genommen. Er muß die Interessen der größten und finanzstärksten Unternehmen dieser Welt koordinieren. Aus seiner Tasche werden die anhaltenden Wahlsiege der Regierungspartei finanziert. Er diktiert die Leitlinien der japanischen Wirtschaftspolitik. Kurz, er ist der „Premierminister der japanischen Wirtschaft“, und so lautet dann auch sein inoffizieller Titel.

Dieser Mann ist 78 Jahre alt und ein Greis. Kaum die Aura eines großen Patrons. Zum Wechsel seiner Amtsperiode als Vorsitzender des wohl mächtigsten Unternehmerverbandes der Welt, „Keidanren“, empfängt Eishiro Saito den Kreis illustrer japanischer Journalisten, die ausschließlich für die Berichterstattung aus seinem Hause zuständig sind. Auf Wunsch Saitos ist die taz diesmal dabei - völlig umsonst! Man spricht über die hohen Landpreise. Wirkliche Fragen werden nicht gestellt. Saito entgegnet gelegentlich: „Da muß man noch einmal verschiedene Meinungen hören und berücksichtigen.“ Das sagt er mindestens fünfmal. Kein Journalist hier würde es wagen, die persönliche Erscheinung Saitos zu kommentieren. Die Runde ist dazu da, daß die Außenwelt von der Innenwelt japanischer Wirschaftsmacht nie Ernsthaftes erfährt.

Saito verkörpert sein Land: perfekt in der Form, profillos im Charakter, patriotisch in der Gesinnung. Als Vorsitzender des Keidanren spricht er im Auftrag von über tausend japanischen Firmen. Eine Konkurrenzorganisation gibt es nicht. Nur die Bauern verfügten in den ersten Nachkriegsjahren über eine ähnlich einflußreiche Lobby -Organisation.

Saito liegt weder Prunk noch Kitsch. Er arbeitet in einem kleinen, schlichten Büro. Kein berühmtes Originalgemälde glänzt an der Wand, wie es sonst in Nippons Chefetagen üblich geworden ist. Auch als Ganzes fällt das Hauptgebäude des Keidanren in der Tokioter City eher durch Bescheidenheit auf. Der geringe äußere Aufwand gehört zum traditionellen Understatement der japanischen Unternehmerklasse.

Dem Schicksal unterworfen

Deren Gesetze beherrscht der „Wirtschaftspremier“ auch heute noch wie kein anderer. „Er redet gern und hört nicht so gerne zu,“ meint sein Sekretär. „In meinem Leben gab es mehrere wichtige Entscheidungen. Aber ich bin nur dem natürlichen Fluß der Dinge gefolgt,“ schreibt Eshiro Saito in seiner Autobiograhie. Noch deutlicher fügt er hinzu: „Es ist nicht so, daß ich immer mit bestimmten Zielen gehandelt hätte. Man könnte vielmehr sagen, ich habe mich dem Schicksal unterworfen.“ Damit formuliert Saito seine unternehmerische Lebensweisheit. Nicht etwa Eigeninitiative, Durchsetzungsvermögen und Leistungskraft - jene heuchlerischen Eigenschaften des westlichen Unternehmerideals - wurden Saito im Laufe seiner langen Karriere abverlangt, sondern Unterwerfung unter die Entscheidungen anderer. Der holländische Journalist van Wolferen beugt allen Mißverständnissen vor: „Es kann kaum zu oft wiederholt werden, daß die Wirtschaftsverbände (in Japan) keine echten Unternehmer repräsentieren.“

Nippons Großkonzerte werden von Wirtschaftsbürokraten gelenkt. Saito vertritt sie an erster Stelle. Wenn ihn die Mitgliederversammlung des Keidanren heute für weitere zwei Jahre in seinem Amt bestätigt, ist nicht etwa von einer Wahl des Vorsitzenden die Rede. Denn Saito ernennt sich - zum zweiten Mal seit 1986 - selbst zum Chef; die Mitgliederversammlung segnet nur ab. Seit der frühen Gründung des Keidanren im Jahr 1946 obliegt es dem amtierenden Vorsitzenden seinen Nachfolger zu benennen falls er selbst bereit ist, das Amt abzugeben. Für Saito ist dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen. Kein Wunder, daß Japaner nicht wissen, wie viele demokratisch gewählte Premierminister das Land seit Kriegsende zählt, dagegen in jedem Zeitungsartikel über den mächtigsten Unternehmerverband zu lesen ist, daß Saito erst der sechste Keidanren-Chef seit 1946 ist. Umso enttäuschender, daß seine öffentliche Statur der seiner Vorgänger kaum nahekommt. Inamura, bis 1986 Keidanren-Chef und über 40 Jahre lang Saitos direkter Vorgesetzter, galt als Vaterfigur des japanischen Wiederaufbaus. Der ehemalige Vorsitzende Uemura, die historisch wohl bedeutendste Figur des Keidanren, koordinierte in den 30er Jahren die Zusammenarbeit von zivilen und militärischen Industriellen, zeigten in den 40ern während einer Deutschlandreise seine Bewunderung für Hitlers Wirtschaftspolitik, um wenig später als Keidanren -Mitbegründer und Initiator des Parteienzusammenschluß‘ der liberal-demokratischen Regierungspartei (LDP) in die Geschichte einzugehen.

Keine Leitfigur

„Es gibt keine einzelne Person mehr, die die Geschäftswelt repräsentiert“, bemängelt der japanische Wirtschaftsexperte Akiro Esaka. „Wer Chef des Keidanren ist, spielt ebensowenig eine Rolle, wie wer Chef der Kommunistischen Partei ist.“ Solche Töne sind zumindest für das Ausland neu, wo der Keidanren-Vorsitzende gewöhnlich - einem Regierungschef gleich - mit einem rotem Teppich empfangen wird. In Japan ist dagegen allenthalben von einer Krise des mächtigsten Unternehmerverbandes die Rede.

Die Bestechungsaffäre um die Immobilienfirma Recruit stürzte neben einem Premierminister auch einige Gallionsfiguren des Keidanren, unter anderem den Chef der größten Telekommunikationsfirma der Welt (NTT), Hisahi Shinto. Insgesamt geriet Keidanren aufgrund seiner Schlüsselrolle bei der Parteienfinanzierung in Verruf. Allein in den ersten drei Monaten des Wahljahres 1990 zahlte Keidanren 100 Millionen DM an die Regierungspartei LDP. Dabei fällt es der LDP immer schwerer, zwischen den unterschiedlichen Interessen ihrer Stammwählerschaft auf dem Lande und den ihrer Geldgeber vom Keidanren zu vermitteln.

„Um es ganz deutlich zu sagen: Wenn Politiker früher Geld hatten, wurden sie auch gewählt. Deshalb hatten die Unternehmer, die das Geld gaben, viel zu sagen. Heute braucht man schon etwas mehr als Geld, um die Wahl zu gewinnen.“ Die Analyse von Ken Moroi, dem ehemaligen Vize -Vorsitzenden des zweiten, mit Keidanren kooperierenden japanischen Unternehmerverbandes „Keizaidoyukai“, ist freilich optimistisch. Moroi geht davon aus, daß sich das langjährige Einflußmonopol der Unternehmer auf die Regierungspolitik aufgelöst und die japanische Gesellschaft insgesamt mehr Pluralismus entwickelt habe.

Im wirtschaftspolitischen Alltag ist diese Entwicklung kaum erkennbar. Jegliche Landreform zur Entlastung der astronomisch hohen Miet- und Wohnungspreise scheitert am hartnäckigen Widerstand des Keidanren, dessen Mitglieder von den hohen Mieten profitieren. Japanischer Zugeständnisse bei den wichtigen Handelsgesprächen mit den USA in diesem Frühjahr ließen sich nur insoweit durchsetzen, wie der Keidanren sie befürwortete. Die schwache japanische Kartellgesetzgebung etwa, die Washington seit Jahren unter Beschuß nimmt, bleibt bis heute im Kern unangetastet.

Mit Honecker

Reiswein trinken

Saitos Autobiographie beschränkt sich in weiten Teilen in der Aufzählungen von Freundschaften und Begenungen mit japanischen Führungspersönlichkeiten. Zwei Wörter umschreiben Saitos Schlüsse zu Macht und Erfolg: jinmyaku und nemawashi. Jinmyaku meint die Beziehungen, die ein aufstrebender Mann (Frauen sind nahezu ausgeschlossen) in Universität, Großkonzernen, Ministerien und Regierungspartei erwerben kann. Nemawashi meint die Kunst der Entscheidungsfindung hinter den Kulissen. Weder jinmyaku noch nemawashi sagen etwas über Führungsqualität, Gedankenstärke und Erneuerungswillen des Einzelnen aus. Da ohne sie aber kein Weiterkommen in Nippons Führungselite möglich ist, diktieren sie den Verantwortlichen ihr Verhalten, wo das Geschäftsgebaren nicht den strengen japanischen Normen unterworfen ist. Saito ist nur ein Beispiel.

Er sei ein „internationaler Mensch“, behauptet der Keidanren-Chef stets bereitwillig. Sein Programm verspricht noch heute den Keidanren zu „internationalisieren“.

Besonders nach Europa reist Saito gerne. Dort hat er nämlich die DDR in sein Herz geschlossen, die er allein fünfmal besuchte. Warum er sich ausgerechnet für die DDR interessierte, schmeichelt den Bürgern des Landes indes wenig: „Wir wurden von den höchsten Führern immer mit Wärme empfangen. Es war mir eine Ehren, mit Herrn Honecker Reiswein zu trinken.“

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