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Der Meineid, der Kanzleichef und die 16 Bischöfe

Wie Ministerpräsident Wallmann einen völkischen Parteikameraden zum Abteilungsleiter für Kirchen und Religionsgemeinschaften befördern wollte und dabei sein „Alter ego“ Alexander Gauland in den Strudel riß / Der hessische Staatskanzleichef muß wegen falscher eidesstattlicher Versicherungen und einer Lüge vors Parlament  ■  Aus Frankfurt Mathias Bröckers

Nach den verlorenen Wahlen in Hannover und Düsseldorf scheinen auch die Tage der Ära Wallmann in Hessen gezählt. Doch es ist nicht nur der Genosse Trend, der die Wiesbadener CDU-Regierung auf die Verliererstraße bringt, es sind Schiebereien und Affären, in deren Umfeld immer wieder der Name des Ministerpräsidenten höchstselbst auftaucht. Sei es bei den Gärtnerkosten für sein Privathaus, sei es bei dem auf Wallmanns Frankfurter OB-Zeit zurückgehenden Bauskandal um den flüchtigen Bordellier Hersch Beker. Und auch der jüngste Skandal - eine seit 1988 gärende Personalsache um die Versetzung des Leiters der Verbindungsstelle zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften, Ministerialrat Rudolf Wirtz - dürfte auf Walter Wallmann zurückfallen. Im Mittelpunkt stehen zwei seiner engsten Mitarbeiter: der Chef der Hessischen Staatskanzlei Alexander Gauland sowie ein ehemaliges Vorstandsmitglied des völkischen Witiko-Bundes, der Ex-CDU-Fraktionsassistent und Wallmann-Freund Wolfgang Egerter.

Ein „verläßlicher Kamerad“

Egerter sollte Ende 1988 für seine Fraktionsdienste mit einem Posten in der Staatskanzlei belohnt werden, ausgesucht hatte man sich das Referat Kirchen und Religionsgemeinschaften, das seit seiner Gründung 1971 von dem Sozialdemokraten Rudolf Wirtz geleitet wurde. Mit Kompetenz, Erfolg und Zustimmung aller Beteiligten, die, wie etwa die jüdische Gemeinde Hessens, den liberalen Katholiken Wirtz mit hohen Ehrungen auszeichneten. Um so verdutzter war dieser, als ihm der Chef der Staatskanzlei Gauland im November 1988 seine Ablösung als Verbindungsmann zu den Kirchen und die Umwandlung des Referats in eine von außen zu besetztende Ministerialdirigentenstelle mitteilte. Begründung: „18 Jahre in einem Bereich sind zuviel, ein Beamter muß auch mal wechseln.“

Wechseln sollte Wirtz, um den langjährigen Assistenten der CDU-Landtagsfraktion auf den (mit B6 besoldeten) Posten eines Abteilungsleiters aufsteigen zu lassen. Daß Egerter von 1955 bis 1986 führendes Mitglied, zuletzt stellvertretender Bundesvorsitzender, des rechtsradikalen Gesinnungsbundes „Witiko“ war, in dieser Eigenschaft völkische Reden schwang und das HJ-Kampflied „Nur der Freiheit gehört unser Leben“ zu seinem Programm machte diese Rechtsaußen-Aktivitäten seines politischen Ziehkinds hatten CDU-Chef Wallmann ebenso wenig gestört, wie Egerters Haltung zur Kirche. Deren Pastoren hatte er (bei einer Rede zum „Tag der Heimat“) mit „Stoßtruppführern der Systemüberwinder“ verglichen.

Im Jahr 1987, anläßlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an seinen Parteiassistenten (für das Egerter von Ossi Böse, dem Ex-Bundesführer der „Deutschen Jugend des Ostens“ und Witiko-Bundesvorstand von 1984 bis 1987, vorgeschlagen worden war), versprach Wallmann dem „verläßlichen Kameraden und Freund“ Egerter, daß er ihm „auch in Zukunft als engster Mitarbeiter zur Seite stehen (werde). Dies heute ist kein Abschluß, sondern ein äußerer Meilenstein auf diesem Weg.“

Ein weiterer Meilenstein sollte der Posten des Verbindungsmanns zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften werden - daß der Ex-Witiko-Funktionär, der bei den Deutschen die Bereitschaft vermißt „für ihr Land zu kämpfen“, auf seinem neuen Posten unter anderem als Gesprächspartner der Jüdischen Gemeinschaft fungieren sollte, - diese Merkwürdigkeit schien Walter Wallmann ebenfalls nicht zu stören. Doch der Landesvater hatte die Rechnung ohne das von Wirtz angerufene Verwaltungsgericht gemacht. Die Wiesbadener Richter rügten das nicht ordnungsgemäße Verfahren der Stellenbesetzung sowie die mangelnde Qualifikation des Parteikarrieristen Egerter.

Daraufhin griff Kanzleichef Gauland zum ersten Mal in die Trickkiste. Der vom Gericht auferlegten Stellenauschreibung (bei welcher der hochqualifizierte Wirtz beste Chancen gehabt hätte) versuchte er mit einem „formalisierten Verfahren“ abzuhelfen: durch Auflösung des Referats „Verbindungsstelle“ und Schaffung einer neuen „Gruppe Kirchen“ unter dem Wunschkandidaten Egerter. Dagegen beantragte Wirtz am 26.Januar 1989 eine weitere einstweilige Anordnung vor dem Verwaltungsgericht, mit der Begründung, die in einer Nacht- und Nebelaktion durchgeführte neuerliche Organisationsentscheidung sei willkürlich, durch eine parteipolitisch motivierte Manipulation zu seinem Nachteil werde der Gerichtsbeschluß „eklatant unterlaufen“.

Nichts in den Händen

Hier nun sah sich der Chef der Staatskanzlei veranlaßt, zum zweiten Mal in die Kiste zu greifen - und alles weist darauf hin, daß es dieses Mal die Kiste mit den „dirty tricks“ war. Dem Gericht versichert Alexander Gauland am 8.Februar 1989 zum ersten Mal an Eides statt, daß bei ihm „wiederholt...aus Kreisen der Kirchen und Religionsgemeinschaften Beschwerden über Eigenmächtigkeiten (des Ministerialrats Wirtz) vorgetragen worden“ seien. Der Aufforderung zur Konkretisierung der Vorwürfe folgt eine weitere eidesstattliche Versicherung, Gauland gibt zu Protokoll, daß es ihm an „Material zu substantiiertem Vortrag“ nicht mangele, eine Offenlegung der Beschwerdeführer jedoch unterbleiben müsse, da seine Gesprächspartner „wiederholt erklärt (hätten), sie wollten keinesfalls in eine Diskussion um die Amtsführung hineingezogen werden“.

Das Schreiben, das Gauland zusammen mit dieser Erklärung nach mehrfacher Aufforderung jetzt vorlegt, spricht freilich eine andere Sprache. Es ist ein (nach Prozeßbeginn verfaßter) Brief des katholischen Generalvikars des Bistums Mainz an Gauland, in dem Wirtz als „stets engagierter und sachkundiger Gesprächspartner“ der hessichen Bistümer erscheint, dessen Referat sich in den „bisher 18 Jahren... bestens bewährt“ habe. Das Verwaltungsgericht untersagt daraufhin der Staatskanzlei, Egerter weiterhin mit der Leitung der Gruppe Kirche zu betrauen. Diese Personalentscheidung habe „mit den Zielen sachgerechter Aufgabenerfüllung staatlicher Verwaltung nichts zu tun“, da sie „aus parteipolitischen Gründen getroffen“ worden sei. Im übrigen, so das Gericht weiter, sei die von der Staatkanzlei behauptete Illoyalität des Beamten Wirtz „in keiner Weise substantiiert“.

Gauland als Klein-Oliver

Was wie eine ganz normale Personalsache schien, beginnt sich zu einem Skandalon auszuwachsen, bei dem der Wallmann -Vertraute Gauland offenbar von Irangate-Oberst Oliver North gut gelernt hat. Am 28. Februar 1989, nach der zweiten Gerichtsschlappe bei der Abschiebung des Beamten Wirtz, erklärt der Kanzleichef an Eides statt zu den Beschwerden: „Eine Offenlegung würde...dem Wohl des Landes Nachteile bereiten (vgl. §99 Abs.1 VwGO) und muß aus diesem Grund unterbleiben.“ Von diesem schweren, für Bürgerkriegszeiten vorgesehen Paragraphengeschütz läßt sich der Verwaltungsgerichtshof als letzte Instanz des Eilverfahrens beeindrucken und kommt zu dem Schluß, daß seitens der Kirchen und Religionsgemeinschaften tatsächlich „erhebliche Bedenken“ über Wirtz‘ Amtsführung vorgebracht worden sind. Die Staatskanzlei meldet in der Presse „Erfolg auf der ganzen Linie“, CDU-Generalsekretär Jung betont die „eindeutige Rehabilitierung von Wolfgang Egerter“, den Gauland freilich als Kandidaten für die Kirchen-Stelle längst zurückgezogen hatte, weil man ihm die Vorwürfe des Rechtsradikalismus „nicht länger zumuten“ könne.

Das Schweigen der Bischöfe

Der „Erfolg“ vom vergangenen Juli könnte jedoch sehr schnell in eine böse Niederlage münden, denn bis heute ist von den vier eidesstattlichen Versicherungen, die Kanzleichef Gauland über die angeblichen Beschwerden geleistet hat, keine einzige konkretisiert - statt dessen kann Wirtz auf Ehrungen und Dankesschreiben der jüdischen und der freikirchlichen Gemeinden verweisen, sowie auf Äußerungen der Verantwortlichen bei Katholiken und Protestanten, daß sie es nicht waren, die sich über seine Amtsführung beschwert haben. Offizielle Bestätigungen über Beschwerden gegen ihren langjährigen staatlichen Verbindungsmanns aber haben die beiden großen Amtskirchen bislang verweigert Kirchenrat Kühn schrieb seinem um Auskunft ersuchenden Ansprechpartner Wirtz im Februar 1989: „Leider ist es mir in der gegenwärtigen Prozeßsituation nicht möglich, Ihrer Bitte zu entsprechen.“ Aus Opportunitätsgründen zogen es die Bischöfe vor, während des „schwebenden Verfahrens“ zu schweigen.

Doch jetzt, wo in Kürze vor Gericht in der Hauptsache verhandelt wird und 16 evangelische und katholische Bischöfe, Generalvikare und Präsides im Zeugenstand Farbe bekennen müssen, beginnt sich der Vorhang des Schweigens zu lichten. Auf der Synode am vorletzten Wochenende versicherte der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen Naussau, Helmut Spengler, man habe Wirtz „nicht im Stich gelassen“, und der Limburger Domkapitular Werner Bockenförde bestätigt, daß auch Bischof Franz Kamphaus (Limburg) sich nicht bei Gauland beschwert habe und dies nötigenfalls vor Gericht beeiden könne, nur fühle er sich derzeit noch an die Absprache der katholischen Bischöfe gebunden. Eine Absprache, die mittlerweile ein Verhalten deckt, das von der Instanz des lieben Gottes schleunigst in die Hände der Staatsanwaltschaft gehört. Das zeigt der letzte Coup des Alexander Gauland in diesem Fall, seine Aussage vor dem Hauptausschuß des hessischen Landtags am 16.Februar dieses Jahres: Einen Tag zuvor hatte der offizielle Beauftragte der katholischen Kirche in Wiesbaden, Prälat Franz Kaspar, den Staatskanzleichef in einem persönlichen Gespräch gebeten, im Auschuß zu erklären, „daß er, Dr. Kapsar, sich nicht bei ihm, Dr. Gauland, über Wirtz beschwert habe“. Tags darauf in der Sitzung dann befragt, ob der Vertreter der katholischen Kirche erklärt habe, daß er als Beschwerdeführer nicht in Frage komme, antwortet Gauland laut Protokoll, „davon sei ihm nichts bekannt“.

Hat der bei Journalisten wegen seiner Intelligenz - und vor allem, so der Korrespondent des Kölner 'Stadt-Anzeigers‘, wegen heißer Tips mit dem Hinweis, „wenn sie mich als Quelle nennen, schwöre ich, daß ich es nicht war“ - so geschätzte Kanzleichef die ominösen Beschwerden, deren Offenlegung weniger das Wohl des Landes als das der amtierenden Landesregierung bedroht, einfach aus der Luft gegriffen? So ganz offenbar nicht - einige Beschwerdebriefe, die in der Staatskanzlei gegen die Amtsführung des Ministerialrats Wirtz prostestierten, sind mittlerweile aktenkundig geworden: Sie stammen aus dem Umfeld der fundamentalistisch -konservativen „Evangelikalen“. Der christliche Glaubensverein, dessen Evangeliumsrundfunk in Wetzlar Wallmann am 20.Februar als erster hessischer Ministerpräsident einen Besuch abstattete, hofft seit dem Regierungswechsel darauf, mit der Staatsregierung ins Gespräch zu kommen und politisches Mitspracherecht erhalten

-vorbei am Staatskirchenvertrag, der allein den Evangelischen Landeskirchen ein Mitspracherecht einräumt.

Der rechte Glaubensbruder

Bei diesen politischen Aktivitäten, die etwa dazu führten, daß die Evangelikalen bei der Anhörung zum Privatfunkgesetz über drei Stimmen verfügten, während die Landeskirchen nur zwei erhielten, können sie sich besonders auf einen prominenten Glaubensbruder verlassen: Wallmanns Kultusminister Christian Wagner, der seine evangelikalen Brüder und Schwestern unter anderem aufforderte, Privatschulen mit „entschiedenen christlichen Engagement“ zu gründen. Bei Ministerialrat Wirtz stießen die Anliegen der Evangelikalen auf taube Ohren, für dessen 'ACP-Info‘ auch schon mal der Fundikollege der katholischen Konkurrenz, Erzbischof Dyba (Fulda), zur Feder griff - durchaus ein Motiv, sich über die Amtsführung im Referat Kirchen zu beschweren. Kanzleichef Gauland allerdings bezeichnete die „Evangelikalen“ als falsche Spur, die Briefe des „Arbeitskreis Christlicher Publizisten“ (ACP) hätten, so bekundete er vor dem Hauptschuß des Landtags, „nie eine Rolle gespielt“. Dem schloß sich sein Chef Ende April an, die Beschwerden des ACP, so Wallmann, seien für die Entscheidung über die Versetzung des Beamten „ohne Bedeutung“.

Was aber ist dann von Bedeutung gewesen, wenn offensichtlich auch die offiziellen Vertreter der großen Kirchen sowie die jüdischen und freikirchlichen Gemeinden als Beschwerdeführer nicht in Frage kommen? Am 1.Juni muß sich Alexander Gauland erneut vor dem Hauptauschuß des Landtags äußern. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Ernst Welteke meinte dazu, wenn die Staatskanzlei das Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften durch die von ihm angezettelte Affäre Egerter schwer belaste, sei dies schlimm genug. Wenn nun aber, um Wallmann den Rücken zu stärken, der Chef der Staatkanzlei in den Verdacht gerate, das Parlament belogen zu haben, „sei ein Punkt erreicht, der personelle Konsequenzen nahelege“. Es wird eng für den wortgewandten Kanzleichef und Wallmann-Gefährten, der auch noch im Hauptsacheverfahren vor Gericht aussagen muß und dem in der Folge nicht nur personelle, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen drohen.

Auf HJ-Pfaden

Für den Kameraden Egerter hingegen hat die Staatskanzlei mittlerweile einen repräsentativen Posten gefunden: Ihn, der im Witiko-Bundesvorstand „nur mit Sudetendeutschen saß, die vor 1938 und bis 1945 als Nationalsozialisten und Antisemiten an der Zerstörung der demokratischen Tschechoslowakei beteiligt waren - als HJ-Führer, Stellvertreter (des NS-Führers) Henleins, Gauschulungsleiter und SA-Brigadeführer“ (so die von R. von Weizsäcker herausgegebenen „Evangelischen Kommentare“) -, Egerter hat man jetzt gen Osten geschickt. Als Leiter des neu eingerichteten hessischen Landesbüros in Thüringen soll Egerter Gelder und Aufgaben verteilen und wirtschaftliche Hilfsprogramme koordinieren. Als Hinweis auf die Qualifikation des neuen Amtsleiters, den man dem eigentlich zuständigen Wirtschaftsminister Alfred Schmidt (FDP) vor die Nase setzte, verlautete, Egerter habe sich „sozusagen als Pfadfinder“ in Thüringen verdient gemacht. Ob er dort seiner alten Pfadfinderleidenschaft, dem Absingen von HJ-Liedern, nachgeht, war bis Redaktionsschluß nicht in Erfahrung zu bringen - am Fahnenmast vor seinem Haus im hessischen Friedrichsdorf indessen hält der Egerter auf Tradition: Dort hißt der Wallmann-Spezi morgens die die Sudetenfahne.

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