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Zwischen Borniertheit und Naivität

Während hiesige Gegnerinnen des §218 hoffen, die Menschen in der DDR mögen sich auf ihre eigenen Werte besinnen, wollen die sich nicht reinreden lassen / Eine Verfassungsdebatte wäre nötig, um das Selbstbestimmmungsrecht der Frauen über ihren Körper festzuschreiben  ■  Renate von Sadrozinski

Wer sich bei uns für Frauen und ihre Rechte interessiert, hat gegenwärtig viel zu tun: täglich neue Nachrichten, Ereignisse, Vorschläge. Und wenn darunter auch viel unerfreuliches ist, kann doch ein Fortschritt verzeichnet werden: Der Schwangerschaftsabbruch steht wieder auf dem Spielplan der politischen Bühne.

Die Akteure und Akteurinnen:

1. Die einflußreichen

Lebensretter:

Sie sind auf dem Vormarsch, haben insbesondere auf gerichtlichem Sektor entscheidenden Raum gewonnen. So kann das Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 26.April 90 in der Strafsache Magdalena Federlin weitreichende Folgen für die Zukunft haben. Das Gericht gab der Revision des Memminger Oberstaatsanwalts statt, hob den Freispruch zum Vorwurf der illegalen Abtreibung auf und verwies das Verfahren zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Memmingen. Die Urteilsbegründung ist gekennzeichnet vom Drang, eine unbotmäßige Frau nicht ungestraft davonkommen zu lassen; die Rechtsfolgen gehen aber weit über diesen Fall hinaus: Erstens wurde entschieden, daß die Indikationsfeststellung eines Arztes das Gericht nicht von der Nachprüfungspflicht entbindet, denn schließlich - so stellte der Richter ausdrücklich fest

-sei der Arzt nicht an Recht und Gesetz gebunden. (Wo bleiben eigentlich die Proteste der Ärzteschaft?)

Zweitens qualifizierte das Gericht die Notlagenindikation nur als „Schuldausschließungsgrund“ nicht aber als „Rechtfertigungsgrund“. Damit ist diese, bisher in der Rechtsliteratur umstrittene Frage vorerst entschieden und könnte erst durch den Bundesgerichtshof (oder das Verfassungsgericht) anders beurteilt werden. Das könnte einige Krankenkassen dazu bewegen, Abbrüche bei Notlagenindikation nicht mehr zu bezahlen.

Dies Urteil greift der Normenkontrollklage der Bayerischen Staatsregierung vor. Sie will erreichen, daß einerseits das Beratungsverfahren durch Bundesgesetz weiter verkompliziert wird und zweitens die Krankenkassenfinanzierung von Abtreibungen bei Notlagenindikation für verfassungswidrig erklärt und abgeschafft wird. Auch wenn hier die Entscheidung noch einige Zeit dauern kann, so wird doch bereits mit der Begründung der Klage argumentiert, als sei diese geltendes Recht.

2. Die BRD-Parteien

Zwar nicht aus heiterem Himmel aber doch überraschend besinnen sich die FDP-Frauen auf ihre alten Überzeugungen und bringen die Fristenregelung wieder in die Diskussion. Unter anderem macht sich die stellvertretende FDP -Vorsitzende, Irmgard Adam-Schwaetzer dafür stark, die noch Anfang 1987 an der Erfindung des „Beratungsgesetzes“ als Koalitionsziel mitgewirkt hatte. Sie kündigte an, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in dieser Frage noch einmal zu bemühen.

Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) wagt sich mit einem Gesetzesvorschlg an die Öffentlichkeit und riskiert damit heftige Kritik der SPD-Spitze: Sie strebt die Abschaffung jeglicher Strafandrohung an, statt dessen ein Schwangerschaftsabbruchgesetz mit einer Frist für die freie Entscheidung der Frau bis zur 22.Woche, kein Beratungszwang. Nach langem Diskussionsprozeß ist ein Stand erreicht, der weit über das hinausgeht, was jemals in der SPD möglich war.

In der CDU äußern einzelne Frauen inzwischen Unbehagen über die geltende Regelung und Praxis; sie sinnen, gemeinsam mit DDR-CDU-Frauen, über „bessere Lösungen“ (Rita Süssmuth), Kompromisse nach, die irgendwo zwischen den in der BRD und der DDR geltenden Regelungen liegen sollen.

Die Grünen fordern unbeirrt die ersatzlose Streichung des §218.

3. Die DDR-Regierung

Seit 1972 gilt in der DDR eine Fristenregelung, die den Abbruch bis zum Ende der 12.Woche straffrei stellt. Die gültigen Bestimmungen sind die Paragraphen 153 und 154 Strafgesetzbuch der DDR und das „Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft“. Einerseits gibt es ein klares Bekenntnis zur „eigenen Verantwortung“ der Frau, andererseits schränken einige Vorschriften deren freie Entscheidung ganz eigentümlich wieder ein. So ist zum Beispiel ein Abbruch „unzulässig, wenn seit der letzten Unterbrechung weniger als sechs Monate vergangen sind“. Will die Frau den Abbruch dennoch, kann „in besonderen Ausnahmefällen“ eine Fachärztekommission die Genehmigung erteilen.

Die Regierungskoalition hat sich geeinigt, an der Fristenregelung festzuhalten. Dennoch äußern sich einzelen Regierungsmitglieder, insbesondere der C-Allianz, zunehmend ablehnend über den „Mißbrauch“ und die „hohen Abreitungszahlen“ und wollen zumindest die Praxis ändern; eine Wiedereinführung des §218 lehnen sie jedoch mehrheitlich ab. Die Koalition hat sich aber noch nicht endgültig festgelegt, ob die Fristenregelung zu den „nicht verhandelbaren Errungenschaften“ der DDR gehört.

4. Die Bundesregierung

Sie hält sich einerseits bedeckt, macht allerdings deutlich, daß sie nicht gewillt ist, überhaupt darüber zu verhandeln, ob die Fristenregelung der DDR für ganz Deutschland gelten kann. Der Spruch des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 1975 hat für die Bundesregierung Verfassungsrang, daß heißt schließlich muß ihrer Meinung nach die strafrechtliche Regelung der BRD auch in der jetzigen DDR gelten. Für eine nicht näher definierte Übergangszeit wird für denkbar gehalten, daß beide Gesetze nebeneinander bestehen.

5. Die Frauen

Wie so oft, ist nicht genau auszumachen, ob die Frauen auf der Bühne des politischen Geschehens mitspielen oder Zuschauerinnen sind.

Während in der BRD die Vorbereitungen für die zentrale Veranstaltung am 16.Juni in Bonn - „Für die Streichung des §218 und eine bessere Versorgung!“ - auf Hochtouren laufen und viele Frauen hoffen, aus der DDR könnte eine entscheidende Unterstützung für diese Forderungen kommen, fangen die Frauen in der DDR an, ihre Situation zu analysieren und die Mängel ihres Gesetzes und ihrer Praxis zu beschreiben. Einmütig wird vor allem die oft frauenfeindliche medizinische Behandlung durch Ärzte und Klinikpersonal kritisiert. Immer wieder heißt es, daß „die Frauen mit dem Abbruch allein gelassen werden“, daß sie dringend der Beratung bedürfen, daß zu viele Frauen zu häufig abtreiben und daß viele Frauen gar nicht wüßten, was auf sie zukommt mit einer Abtreibung. Erstaunlicherweise führt dies nicht dazu, nun eine bessere medizinische und menschliche Versorgung beim Abbruch zu fordern und zum Beispiel auch in der DDR endlich den ambulanten Abbruch unter örtlicher Betäubung einzuführen; es führt vielmehr ebenso wie in der BRD-Öffentlichkeit - zu moralischen Appellen an die Frauen: daß sie besser verhüten und daß sie verantwortlicher handeln sollten.

Wie auch bei anderen Themen im deutsch-deutschen Verhältnis führt der Austausch über die bisherigen - sehr unterschiedlichen - Erfahrungen nicht unbedingt zu größerem Verständnis, sondern eher zu Distanz und gelegentlich zu Aggression. Am Beispiel der „Beratung vor Schwangerschaftsabbruch“ läßt sich das verdeutlichen: Seit der Zwangsberatung als eine Voraussetzung für den legalen Abbruch 1976 in der BRD eingeführt wurde, wehren sich Frauen und Organisationen dort gegen diese Zumutung. Ausgeweitet hat sich die Ablehnung, seit durch das - noch nicht verabschiedete - Bundesberatungsgesetz der Druck auf die Frauen und Beratungstellen weiter verstärkt werden sollte. Der Beratungszwang entmündigt die Frauen und stellt ein teilweise kaum überwindliches Hindernis dar, denn es gibt weder ausreichend Beratungsstellen noch haben die Frauen die Wahl, zu einer weltanschaulich neutralen Stelle zu gehen. Die Prozesse von Memmingen, in denen die Frauen nur deshalb verurteilt werden konnten, weil sie sich nicht der strafbefreienden Beratung unterzogen hatten, haben die Zwangsberatung endgültig als das entlarvt, was sie immer war: Bevormundung und Kontrolle.

Für die Frauen in der DDR ist der Mangel an psychologischer Beratung und fürsorglicher Behandlung in allen Lebensbereichen eklatant und sie hoffen, daß durch bessere Beratung den Frauen der Druck, die Zweifel und die Angst im Zusammenhang mit einem Abbruch genommen werde können. Sie glauben, wie so viele auch in der BRD, an die Macht der Beratung und daß die Zahl der ungewollten Schwangerschaften dadurch verringert werden könnte.

Beide unterschiedlichen Erfahrungen und Befürchtungen sind gegenseitig vermittelbar: Die jeweils andere Sichtweise erscheint naiv, borniert oder besserwisserisch. Die deutsch -deutsche Annäherung ist auch auf anderen Gebieten gekennzeichnet von einem Wust unerfüllbarer Wünsche und Erwartungen: Einerseits hoffen BRD-Menschen, die DDRlerInnen mögen sich auf ihre eigenen Werte besinnen und nicht alles nachmachen, was wir bereits als schlecht erkannt haben (diese Haltung, wie wir sie auch gegenüber „unterentwickelten Ländern“ in der „Dritten Welt“ haben). Gleichzeitig wünschen wir, unser eigener Kampf um Veränderung möge neuen Schub von „drüben“ bekommen. Andererseits hoffen DDR-Menschen, daß ihnen die Errungenschaften der reichen BRD nicht vorenthalten werden und ihnen nicht Bescheidenheit verordnet wird. Außerdem möchten sie nicht, daß ständig von „hüben“ reingeredet wird. So auch beim zukünftigen Umgang mit dem Schwangerschaftsabbruch.

Was also tun? Als wichtigstes erscheint mir eine ebenso grundsätzliche wie gründliche Verfassungsdiskussion in der BRD und in der DDR: Wir können uns doch wirklich nicht mit einem Grundgesetz zufriedengeben, das ausdrücklich vorläufig ist und Frauenrechte nur in einem lapidaren Satz erwähnt. In einer neuen Verfassung muß - neben anderen Rechten - das Recht von Frauen, über ihren Köprer selbst zu verfügen verankert werden, also das Recht, darüber zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austragen oder nicht.

Wir Frauen sollten die Übergangszeit nutzen, während zwei unterschiedliche Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch bestehen werden. Wir müssen uns austauschen, voneinander lernen, die Erfahrungen der anderen ernst nehmen. Dann werden wir schließlich zu einer befriedigenden Lösung kommen.

Jedenfalls dürfen wir das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verlieren: Dies darf nicht wieder ein reines Männertheater werden!

Entscheidende Wahlen stehen bevor. Warum soll es nicht möglich sein, die zukünftige Regelung des Schwangerschaftsabbruchs zu einer wahlentscheidenden Frage zu machen, so wie die amerikanischen „pro-choice„ -Aktivistinnen mit dem Boykott von Idaho-Kartoffeln den Gouverneur von Idaho zum Einlenken in der Abtreibungsfrage gezwungen haben?

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