: Auf dem anderen Flußufer wartet der Tod
Besuch in einem liberianischen Flüchtlingslager in Guinea / Das halbe Land ist auf der Flucht / Greueltaten der liberianischen Armee / Versorgungslage nach Anbruch der Regenzeit prekär / Reisanbau und Warten auf die Rückkehr ■ Aus Nzerekore Peter Labbe
Schwitzend stampfen Saye und Nya mit ihren Füßen den eingeweichten Lehm des Termitenhügels neben ihrem neuen Domizil. Dann tragen die beiden etwa Zehnjährigen das Baumaterial brockenweise zu ihrer Mutter Cecilia, die eifrig dabei ist, die zähe Masse in das Wandgerüst aus miteinander verknoteten Baumstämmen zu füllen. „Hoffentlich regnet es heute nacht nicht“, sagt sie mit besorgtem Blick auf einige dunkle Wolken, „sonst war die ganze Arbeit umsonst. Wenn wir's morgen schaffen, das Palmdach fertig zu bekommen, kann nichts mehr schiefgehen.“
Wie 12.000 andere Flüchtlinge aus Liberia wohnt Cecilia Twayewn mit ihrer achtköpfigen Familie im Lager Baapa, zweieinhalb Tagesreisen von der guinesischen Hauptstadt Conakry entfernt, doch kaum 40 Minuten von St.John's River, dem Grenzfluß zu Liberia. „Vor drei Monaten flohen wir über den Fluß, als eine ganze LKW-Ladung Soldaten in unser Dorf einfiel. Plündernd zogen sie von Haus zu Haus, nahmen alles mit, was sie gebrauchen konnten. Mindestens zehn Leute, die ihnen in die Hände fielen, haben sie umgebracht, sogar Kinder. Und abends im Radio heißt es dann, die Armee hätte wieder mehrere Rebellendörfer erobert.“
Selbst mit solch zweifelhaften Erfolgen brüstet sich die Armee des liberianischen Präsidenten Doe schon lange nicht mehr. Ihre Raubzüge trieben zwar die gesamte Bevölkerung von Nimba County in die Flucht nach Guinea oder die Elfenbeinküste, zum Teilaber auch in die Armee des undurchsichtigen Rebellenführers Taylor. Dessen „National Patriotic Front“ (NPF) steht mittlerweile unmittelbar vor dem einzigen internationalen Flughafen, etwa 30 Kilometer vor der Hauptstadt Monrovia. Kein Wunder, daß das diplomatische Corps kein Vertrauen mehr hat in die markigen Sprüche des Tyrannen Doe, der nun drohte, Nimba dem Erdboden gleichzumachen, wenn die Rebellen nicht binnen zwei Wochen die Waffen niederlegen. Ihm gehen mittlerweile selbst die Waffen aus, seit die USA ihn nach einer dramatischen Kehrtwende fallengelassen haben - und das trotz der Unterstützung und Ausrüstung der NPF nicht nur durch Burkina Faso, sondern auch Libyen. Sogar die Soldaten werden Doe knapp, durch erhebliche Verluste und vor allem Desertionen. Fünfzehnjährige Straßenjungs, die bei ihrer Rekrutierung mehr von zu erbeutenden Kassetenrecordern wußten als von gut ausgebildeten Rebellensoldaten, zogen ihre Uniformen nach dem ersten Gefecht oft zu Dutzenden wieder aus und flohen halbnackt in den Busch bis zur guinesischen Grenze, um sich dort zu stellen.
Die amerikanische Botschaft forderte ihre 4.000 Landsleute bereits Mitte April auf, sich auf den Heimweg zu machen, die EG-Länder folgten geschlossen ihrem Beispiel. Die britische Botschaft setzte sogar eine Sondermaschine ein, da British Airways ihre Flüge ganz einstellen will. Ob die „German Community“, darunter die 200 Deutschen der Thyssen-Krupp -Mannesmann-Mine in Bong, überhaupt noch mit Tickets versorgt werden, ist zweifelhaft. Denn auch indische und libanesische Geschäftsleute belagern die Schalter der Reisebüros. Einige Regierungsmitglieder sollen unter Hausarrest stehen, weil sie sich ins Ausland absetzen wollten.
Gerüchte und Unfälle
Inzwischen ist fast die Hälfte der 2,4 Millionen Liberianer auf der Flucht. Die Mano- und Dan-Bevölkerung aus Nimba County, etwa ein Zehntel aller Liberianer, floh vor marodierenden Soldaten in die Städte. Seitdem die Regierung dort jedoch mit ihrer Registrierung „aus Sicherheitsgründen“ begann und es verstärkt zu Übergriffen und Pogromdrohungen durch Soldaten vor allem aus Does Krahn-Ethnie kommt, fliehen die meisten weiter über Monrovia Richtung Sierra Leone oder Guinea. Selbst die Provinzzentren Gbanga und Buchanan sind zu Geisterstädten geworden, was ihre Einnahme durch die NPF erheblich erleichterte. Gerüchte und Unfälle wie die Explosion eines Generators in der Haupstadt führten auch dort mehrfach zu Panik. Die Atmosphäre ist zum Zerreißen angespannt.
Gleichzeitig flüchten täglich Tausende Angehörige der islamischen Mandingo-Ethnie, die über ganz Westafrika verteilt den Kleinhandel und das Transportwesen dominiert, wenn auch aus entgegengesetzten Gründen. Hatten sie zunächst ebenfalls unter der Repression der Armee zu leiden, so schlugen sich ihre politischen Führer und viele Cliquen Jugendlicher auf die Seite Does, um mit den plündernden Soldaten gemeinsame Sache und Geschäfte zu machen. Da sich das Blatt nun gegen Doe wendet, fürchten sie - nicht ganz grundlos - die Rache des Mobs auf der Straße wenn Taylors Männer siegen.
Lebensmittelspenden
Daß auch die israelische Spezialeinheit, die 1985 bereits einen Putschversuch niederwerfen half, diesmal Does Haut nicht retten kann, bezweifelt niemand mehr. Zwar hat er bislang amerikanische Asyl-Angebote abgelehnt, doch steht sein erst im Januar angeschaffter Präsidentenjet ständig startbereit.
Cecilia Twayen helfen diese Spekulationen nicht weiter. Zunächst hatte sie, nach einigen Nächten im Freien, von der belgischen Nothilfeorganisation „Medecins sans frontieres“ (MSF) ein Zelt für ihre Familie zur Verfügung gestellt bekommen. Doch die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr schwand, je näher die bis Oktober anhaltende Regenzeit kam. Für den traditionellen Trockenreisanbau hätte bis April ein Stück Wald brandgerodet werden müssen. So steht fest, daß auch während der nächsten zwölf Monate die Flüchtlinge auf Lebensmittelspenden angewiesen sein werden.
Die Ernährungslage ist bereits jetzt angespannt. „Medecins sans frontieres“ konnte zwar schnell und unbürokratisch erste Hilfe leisten, Gesundheitsposten aufbauen, Zelte und Decken zur Verfügung stellen. Doch die Reislieferungen durch das Flüchtlingskommissariat der UNO und das Rote Kreuz orientieren sich immer noch an den Flüchtlingszahlen vom Januar, ihre LKWs bleiben teilweise auf der Strecke. Die Regenzeit macht jetzt die Pisten völlig unpassierbar. Auch die hygienischen Probleme potenzieren sich in den neuen Balilungsgebieten. „Viele Flüchtlinge aus kleinen Dörfern kannten früher weder Latrinen noch Trinkwasserbrunnen“, berichtet Chris Cartier, Sanitärberater von MSF. „Wenn wir die nun auf engem Raum zusammenlebenden Flüchtlinge nicht zum Anlegen und Benutzen von Brunnen und Latrinen bewegen können, sind Epidemien kaum vermeidbar.“
Das Fertigstellen einer regendichten Behausung brennt Cecilia Twayen aber erst mal unter den Nägeln. Die guinesische Verwaltung stellte den Flüchtlingen Waldstücke zur Verfügung, die zuerst gerodet werden müssen, bevor Zelte und Lehmhütten aufgebaut werden können. Einige Familien erhielten sogar etwas Land, um in der Nähe Reis anzupflanzen. Sonst bleibt noch eine andere Möglichkeit, Nahrungsmittel zu ergattern: „Letzte Woche sind acht Frauen aus Baapa heimlich aufgebrochen, um von ihren Farmen auf der anderen Seite des Flusses Reis und Gemüse zu holen. Dabei trafen sie auf eine Gruppe versprengter liberianischer Soldaten. Bis auf eine wurden sie alle erschossen“, berichtet Cecilia. „Seitdem versuchen die Guineer, uns daran zu hindern. Aber wie sonst sollen wir unsere Kinder satt kriegen?“
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