: Lafontaine provoziert hastige DM-Exporteure
■ SPD-Kanzlerkandidat hält Währungsunion am 2. Juli für „eminente Fehlentscheidung“ / Partei soll Staatsvertrag im Bundestag ablehnen, im Bundesrat jedoch zustimmen / Heftiges Gezeter bei der Regierungskoalition, Murren bei den Sozis im Bundestag / DDR schweigt
Berlin (ap/dpa/taz) - Welcher westdeutsche Politiker macht den geschickteren Wahlkampf mit der Konkursmasse DDR? Diesen heftigen Streit hat am Wochenende SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine losgebrochen mit seiner Bemerkung, die Währungsunion zum 2.Juli sei „eine eminente Fehlentscheidung“. Per 'Spiegel'-Interview forderte der Saarländer seine Partei auf, im Bundestag den Staatsvertrag abzulehnen, im Bundesrat hingegen Zustimmung zu signalisieren. Die SPD verstand nun gar nichts mehr. Konservative aus den eigenen Reihen und der Union erklärten Lafontaine, der auch gesamtdeutsche Wahlen zum Jahreswechsel strikt ablehnt, zum herzlosen Feind der deutschen Einheit. Fast ausnahmslos schweigend beging die DDR ein gewöhnliches Wochenende.
Lafontaine berief sich auf sozialwissenschaftliche Untersuchungen, wonach die Bevölkerung der BRD und der DDR das vom Kanzler vorgelegte Tempo der Vereinigung als „viel zu schnell“ ansehe. Sie sei mehrheitlich der Ansicht, „daß der jetzt eingeschlagene Weg überhastet, überstürzt und damit falsch ist“. Der „Rat“ an die SPD-Bundestagsfraktion, gegen den Staatsvertrag zu votieren, trieb nicht wenige Genossen auf den sonntäglichen Gummibaum. Fraktionsvize Wilfried Penner prognostizierte eine Mehrheit für das Dokument, wenn die gewünschten Zusatzforderungen berücksichtigt würden. Es gebe keinen anderen Ausweg, um ein absolutes Chaos zu verhindern. Prompt assistierte Bundesumweltminister Töpfer, das Gesetz über die von der SPD gewünschte Umweltunion werde am heutigen Montag beiden Parlamenten zugeleitet.
Der deutschlandpolitische SPD-Sprecher Hans Büchler meinte: „Den Staatsvertrag ablehnen ist für uns kein Thema mehr.“ Entsprechend schnauzte Bundestagsvizepräsidentin Annemarie Renger via 'Bild am Sonntag‘ Lafontaine an, es werde Zeit, daß er sich „in der Bundestagsfraktion über die andersdenkende Mehrheit informiert“.
Ungleich heftiger trieben die Unionisten den Keil zwischen die Sozis. Mit der ihm eigenen intellektuellen Schärfe meinte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU): Wer gegen Übersiedler, gegen Währungsunion und gegen die Einheit sei, der müsse für die Mauer sein, „weil's anders nicht geht“. Offenbar dem Lesen nicht sehr zugeneigt, unterstellten nahezu alle Unionspolitiker, eine prinzipielle Ablehnung der Einheit, mithin eine „herzlose Politik“ (Wolfgang Bötsch, CSU). Für CDU-Generalsekretär Volker Rühe steht fest: „Wem die Einheit nicht paßt, der paßt nicht in diese historische Zeit.“ Er forderte Lafontaine - von CDU/CSU-Fraktionsführer Dregger als „Machiavelli von der Saar“ überschätzt - zum Rücktritt von der Kanzlerkandidatur auf.
Das könnte dem amtierenden Kanzler Kohl so passen. Gewohnt schlicht hielt er Lafontaines Kritik für „schlicht falsch“. Das jetzige Tempo sei von den Ereignissen in der DDR und dem nicht abreißenden Übersiedlerstrom bestimmt worden. „Wir brauchen jetzt in der DDR eine Situation, daß die Menschen zu Hause bleiben und in der DDR ihre Zukunft sehen“, fügte das Sprachgenie Kohl hinzu. Nach Ansicht der Grünen kommt Lafontaines Protest gegen die schnelle Einführung der DM in der DDR „merkwürdig spät“ und „inkonsequent“. MdB Christa Vennegerts meinte, die Grünen könnten nur hoffen, daß Lafontaine mit der Ablehnung vorgezogener gesamtdeutscher Wahlen mehr Glück in seiner Partei habe.
Auch an diesem Punkt in Widerspruch zu großen Teilen seiner Partei stehend, lehnt der SPD-Politiker den von der Bonner Koalition vorgesehenen Termin spätestens zum 13.1.90 als „falsch“ ab. „Wir hätten dann zwar eine Regierung und ein Parlament, aber wir haben nach wie vor zwei Gesellschaften mit unterschiedlichem Renten- und Lohnniveau.“ Wenn die SPD, und sei es im Bundesrat, vorgezogene gesamtdeutsche Wahlen verhindern könne, dann „wird die SPD sie verhindern“, prophezeite Lafontaine.
Unterstützung erhielt er nur von DDR-Außenminister Markus Meckel und dem SPD-Vorsitzenden des Volkskammer -Innenausschusses, Dankward Brinksmeier. Der formulierte vier Bedingungen für gesamtdeutsche Wahlen: Zunächst müßten die Länder in der DDR funktionsfähig werden; die Menschen müßten Zeit haben, die eigene Identität zu erarbeiten; die Wirtschaft müsse wettbewerbsfähig werden, und auch die Politik müsse sich festigen können.
Ob Oskar Lafontaine lange vor den gesamtdeutschen Wahlen sich wieder in die Saarbrücker Staatskanzlei zurückzieht, ließ er offen. Hatte es noch in der vergangenen Woche geheißen, Lafontaine mache seine Kanzlerkandidatur von der SPD-Ablehnung des Staatsvertrages abhängig, so verbat er sich nun entsprechende Fragen: „Ich pflege die Antworten dann zu geben, wenn ein bestimmter Sachverhalt eingetreten ist. Ich bin auf der einen Seite politisch engagiert, auf der anderen Seite weiß ich, wieviel ich dafür preisgeben muß.“
Petra Bornhöft
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