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Rosa von P.

■ betr.: "Praunheim - 'der Verräter'", und "Aufruhr in der Schwulenszene", taz vom 18.5.90

betr.: „Praunheim - 'der Verräter'“, und „Aufruhr in der Schwulenszene“, taz vom 18.5.90

Es ist ja wohl absolut nicht zu glauben, daß sich Rosa von Praunheim als Lebensretter aller Schwulen aufspielen darf und daß die taz das auch noch druckt. Also erstmal lasse ich dieses alberne „Wir Schwulen“ nicht auf mir sitzen; wenn Praunheim sich ausschließlich über seine Sexualität definiert, ist das sein Problem und nicht das von „uns Schwulen“. Sodann muß ich mich gegen Praunheims Attacke gegen die Selbstbestimmung verwahren. Wenn „ein theoretisches Modell von Eigenverantwortlichkeit“ für „einfach nicht machbar“ befunden wird, dann ist das eine antiemanzipatorische, in höchstem Maße autoritäre Ansicht, die ja wohl eine deutlich größere Nähe zum Faschismus besitzen dürfte als die meinetwegen selbstverliebte und etwas merkwürdige Körperkultur mancher Schwuler. Und überhaupt Faschismus: der Vergleich zwischen Aids und Holocaust ist schon dumm, aber der Vergleich Reagan/Hitler ist bei aller Ablehnung, die auch ich gegen Reagan habe, einfach pervers. Die Naturkatastrophe Aids mit dem Verbrechen des Faschismus parallel zu setzen, ist einfach so unsäglich, daß die taz einen Schlag zwischen die Hörner verdient hat für den Abdruck. (...)

Claus Bornemann, Kassel

Rosa hat recht und die Provokation ist offensichtlich gelungen! Auch ich sehe schon seit längerem einige Aids -Hilfen als einen Apparat heterosexueller, verwaltender Beamter und möchte-gern-elitäre Debattierklübchen, die weitgehend mit den schwulen Szenen nicht mehr viel gemein haben. Es geht offensichtlich nur noch darum, die Hauptamtlichenstellen (Ärzte, PsychologInnen- und TherapeutInnenjobs) sich untereinander zuzuschieben beziehungsweise zu halten. Gelegentlich werden Aids-Hilfe -Jobs als Sprungbrett für die weitere Karriere benutzt. (...)

Tut doch nicht so, als wäre „Safer Sex“ jemals „in“ gewesen. Die wenigsten, die ich kenne, die den Pariser predigen, benutzen ihn auch. Für viele ist es schon fast ein „Treuebeweis“ keinen Pariser zu benutzen - besonders bei Neulingen. Schwule werden in der öffentlichen Aids -Aufklärung völlig ausgeklammert (TV-Spots, Kino, Anzeigen). Der Schwule, der nicht in irgendeiner Szene verkehrt, wird also gar nicht angesprochen.

Aber selbst auf Schwulenfeten fristen Aids-Hilfe-Infostände nur ein jämmerliches peripheres Dasein, wo sie ihre Prospekte und Pariser verteilen - aber wer liest sie und wer benutzt sie?

„Mehr Gauweiler - weniger Süssmuth“ heißt meines Erachtens nicht, daß wir Aids-KZs und Zwangstests brauchen, sondern „Feuer unter die Ärsche!“ Aids-Hilfen und -Aufklärung wieder von Schwulen für Schwule. Und weil es den Schwulen nicht gibt, muß das Thema sehr vielschichtig angepackt werden. Anscheinend war der Holzhammer nötig, um klarzumachen, daß „schwule Solidarität“ mehr ist, als nur ein paar solidarische Schwule“!

Arno

Feuer unterm Arsch - das ist die Parole für die schwule Szene angesichts unserer existentiellen Bedrohung durch Aids. Feuer unterm Arsch sollte es geben für all jene staatliche und behördliche Ignoranz gegenüber fehlender finanzieller und ideeller Unterstützung für die notwendige Arbeit der Aids-Selbsthilfegruppen. Feuer unterm Arsch aber auch für jene Ignoranten, in den eigenen Reihen, für die Safer-Sex-Präventionsarbeit gleichgesetzt wird mit staatlicher Repressionspolitik.

Jeder kann im 'Spiegel‘ vom 14.5.90 und im 'tip‘ die Artikel von Rosa von Praunheim zur Aids-Situation nachlesen. Wer nun allerdings aus der Frage von Rosa, ob mehr Gauweiler als Süssmuth die Solidarität der Schwulen stärker entwickelt hätte, die Schußfolgerung ableitet, Rosa wünsche sich die Ausgrenzungs- und Verfolgungspolitik der bayerischen Staatsregierung, der verdreht bewußt oder unbewußt einfach die Tatsachen. Dabei werden Rosas Forderungen und Wünsche, wie sie im 'Spiegel'-Artikel stehen, unterschlagen.

Zugegebenermaßen strotzt auch dieser Artikel von Rosa von Larmoyanz und Selbstgerechtigkeit sowie einer unfairen Darstellung der Arbeit der Aids-Selbsthilfegruppen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Nicht alle Vorstandsmitglieder in den Aids-Hilfen sind heimlich krank, nicht alle, die sich in der Aids-Arbeit engagieren, sind „Aids-Profis“ und „beamtet, deren Hauptarbeit darin besteht, die Verwaltung zu verwalten“. Rosa unterschlägt und diffamiert hier den selbstlosen Einsatz von unzähligen Helfern in den Gruppen, ob sie nun Safer-Sex-Workshops organisieren oder praktische Krankenpflege ausführen.

Dies alles ist Anlaß zu berechtigter Kritik, doch wird statt dessen eine Kampagne übelster Beschimpfung losgetreten.

Martin Dannecker wußte offensichtlich sehr gut, warum er das Flugblatt der Aids-Hilfen gegen Rosa nicht unterschrieb. Hier sind einigen Freunden und Mitstreitern im Eifer des Gefechts nicht nur die Pferde durchgegangen, sondern ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier eine Atmosphäre der Lynchjustiz entsteht, die der gesamten Schwulenbewegung schadet. (...)

Die taz scheint sich darüber zu amüsieren und kocht genüßlich an dieser Suppe mit, durch reißerische Überschriften wie „Feuer unter Praunheims Arsch“ „Praunheim der Verräter“ und „Aufruhr in der Schwulenszene“. Tätliche Angriffe bei Diskussionsveranstaltungen und Prügeleien sind die Folgen, erzeugt durch Haß und Ausgrenzung. Ich fordere alle Beteiligten in dieser Auseinandersetzung auf, den persönlichen Respekt vor der Würde jedes Einzelnen zu wahren und zu einer sachlichen und fairen Diskussion zurückzufinden.

Bernd Stürzenberger, Mitglied des Sprecherrates des Treffens der Berliner Schwulengruppen

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