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Dobben 92: Momentaufnahme vom Boulevard der Heroinsüchtigen

■ Perfektes Dealersystem, Observation als Beruhigungspille, zorniger Ortsamtsleiter

Straßenbahnhaltestelle Dobben/Ecke Humboldtstraße: Ein etwa 20jähriger in blauer Turnhose steigt aus, fällt mehr als er geht. In der Hand eine Tüte Milch schwankt er über den Gehweg. Die weiße Flüssigkeit tropft über sein Ringelhemd. Sein Ziel: Der Dobben 92, seit gut zwei Monaten Ort öffentlicher Dealerei. Doch im Moment hat der Junge Pech. Die Wache vor dem Haus bedeutet ihm per Handbegung: „Verschwinde.“ Der Süchtige verschwindet, wenn auch nur auf die andere Straßenseite und starrt zu einem der Fenster im ersten Stock, aus dem heraus ein anderer Bewohner per Handzeichen Bestellungen entgegennimmt oder auch ablehnt.

Beobachtet wird das ganze von zwei Männern, deren betont legere Kleidung auf Polizisten in Zivil schließen läßt. „Die kennen uns hier doch alle“, sagt einer. Öffentliches Schaulaufen ist das, was die Beamten hier absolvieren und sie wissen das. Gestern nachmittag sind es eine Handvoll Beamte der Drogenkripo, die suggerieren, es werde etwas gegen den offensichtlichen Handel mit Heroin getan. Tatsächlich tut sich wenig, kann sich auch wenig tun. Denn die Gang im Haus hat das Dealen inzwischen perfektioniert. „Das ist die Fahrradstreife“, erläutert einer der Beamten, als ein Mann im lila Trainingsanzug zum zweiten Mal dicht an den Beamten vorbeifährt.

Solange irgendein Wesen in der Nähe des Hauses steht, dem zuzutrauen wäre, für die Polizei zu arbeiten, spielt sich auf der Straße nichts ab, jedenfalls kein Handel. Der verlagert sich dann ins Haus. Wie wenig später, als ein etwa 16jähriges Mädchen in die baufällige blaue Bruchbude eilt. Für die Kripo-Leute sind das zum Teil ganz neue Erfahrungen, neue Gesichter. Viele derjenigen, die sich Am Dobben 92 mit Gift versorgen, sind noch nie in der Szene aufgefallen. Die jüngste, die von den Beamten überprüft wurde, und Heroin bei sich trug, war zwölf Jahre alt.

Inzwischen wurde eine Großrazzia im Haus durchgeführt - mit mäßigem Erfolg. Um die augenfällige Dealerei wenigstens belegen zu können, greifen die Beamten vor der Tür zu. „Was soll's“, fragt sich ein Beamter. „Wir nehmen ihm seinen Schuß weg, Geld hat er nicht mehr. Dann bricht er irgendwo ein und zwei Stunden später, wenn wir weg sind, ist er wieder da.“

Im Moment, es ist 17.15 Uhr, sind etwa 10 Junkies da, schlendern auf beiden Straßenseiten auf und ab. Die Insassen einer vorbeifahrenden Straßenbahn verdrehen sich synchron die Köpfe, star

ren auf die merkwürdige Szenerie. Der Dobben 92, er ist in Bremen und inzwischen auch weit darüber hinaus als Mittelpunkt der Drogenszene bekannt. Das inzwischen überregionale öffentliche Aufsehen des Hauses und die unschlagbar billigen Preise, zu denen das Heroin angeboten wird, haben den Einzugskreis erheblich erweitert. Die Autos, aus denen die Kunden steigen, kommen schon aus Wilhelmshaven oder Hildesheim. Das Gramm, das vor zwei Jahren bis zu 400 Mark kostete, wird im Moment für 70 Mark angeboten. Spitze ist auch die Qualität des Rauschgiftes. In beschlagnahmten Proben wurde fast reines Heroin festgestellt.

Freien Blick auf die Szene vorm Nachbarhaus hat Viertel -Bürgermeister Hucky Heck. Am Telefon werden er und seine MitarbeiterInnen von AnwohnerInnen „rüdest beschimpft“, berichtet Heck. „Die sagen: 'Räumt endlich auf‘, oder auch: 'Stellt die Kurden an die Wand.'“ Populistische Sprüche, hochkochende Ausländerfeindlichkeit, die auch die Polizei zur Kenntnis nimmt. Mehr nicht, denn mehr ist kaum möglich. Selbst wenn es gelingt einmal einen Dealer mit ein, zwei Gramm Heroin festzunehmen, so muß er wegen der geringen

Menge umgehend wieder freigelassen werden. Selbst beim zweiten und dritten Mal sind der Justiz die Hände gebunden. Denn erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, läge ein Wiederholungstatbestand vor, dem dann U-Haft und möglicherweise die Abschiebung folgen könnten.

Hucky Heck dauert das inzwischen alles zu lange. Für Donnerstag morgen hat er die Innendeputierten und die Senatoren für Justiz, Soziales und Inneres zur Krisensitzung geladen und im Einladungsschreiben gleich die Zustandsbeschreibung mitgeliefert: „Nach wie vor wird in aller Öffentlichkeit massiv gedealt. Bremens oberzentrale Funktion wird durch den Besuch aller Umlandgemeinden signifikant präsentiert. Falls es möglicherweise Konsens sein sollte, die Zustände nicht ändern zu wollen, bitte ich mir dies mitzuteilen, da ich mir dann nervenaufreibende Versuche, das scheinbare Nichthandeln von zuständigen Behörden zu rechtfertigen, schenken könnte.“

17.30: Die Beamten, hörbar genervt von ihrem folgenlosen Tun, verlassen den Einsatzort. „Jetzt ist noch eine Stunde Ruhe“, weiß einer der Männer, „dann geht es wieder richtig los.“

hbk

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