: „...sonst wächst hier bald nur noch Heidekraut“
■ Michelsdorf plant sein „Disneyland“: Ein West-Unternehmer will auf vier Millionen Quadratmeter einen Safaripark mit Golfplätzen errichten
Michelsdorf. 30 Kilometer südlich von Berlin liegt Michelsdorf. Ringsum stehen kilometerweit Apfelbäume, Seen und Sumpfgebiete komplettieren die ländliche Idylle, die hier nur wenig durch die DDR-typischen Plattenbauten zerstört wird. Doch mitten in dieses Filetstück der Mark Brandenburg wollen Westler ihre Vorstellung von Naherholung knallen: für zwei Golfplätze und einen Safaripark soll der Boden demnächst planiert, die riesige Fläche von 400 Hektar für gestreßte Manager und plärrende Familienausflügler mundgerecht zubereitet werden.
Im Amtszimmer des Noch-Bürgermeisters Wolfgang Griesbach ist die Zeit stehengeblieben. Seine Mitarbeiterin tippt mit einem Höllenlärm auf einer wunderschönen Mercedes -Schreibmaschine aus den 20er Jahren die Korrespondenz. Die massive Rechenmaschine auf dem Tisch erfordert beidhändige Bedienung. Hier wurde lange Zeit das Wohl und Wehe der 620 -Seelen-Gemeinde vor den Toren Berlins verwaltet.
Michelsdorf ist gleichzusetzen mit der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, Obstbau treibt man hier, nahezu alle Einwohner der Gemeinde lebten von der Genossenschaft. Wurde eine neue öffentliche Einrichtung gebaut, so war das eine „Gemeinschaftsarbeit von Kommune und LPG“, sagt Griesbach, ohne sie ging nichts. Ein Ferienheim für Kinder hat man errichtet und eine Ausbildungsstätte für Obstbauer. Ein gepflegtes Denkmal erinnert an Ernst Thälmann, die Bürgersteige im Ort sind erstens vorhanden und außerdem benutzbar. Sogar an eine kleine Ecke mit leise pinkelndem Springbrunnen hat man gedacht. Hier lief im sozialistischen Plan alles nach Maß.
Heute ist das nun alles anders. Die LPG wird ihre Äpfel nicht mehr los, aus dem Westen kugeln begehrtere Sorten. Die LPG wird in acht Teilbetriebe aufgelöst, die Hälfte der Arbeiter entlassen.
„Jetzt müssen wir sehen, woher das Geld kommt“, so Griesbach. So kam der Westberliner Vermittler Raspotnik gerade recht, als er vorschlug, den schlechten Boden für ein Firmenkonsortium anzupachten. „Er hat uns 100 Arbeitsplätze versprochen und weitere 20 selbständige Unternehmungen, die hier Geld verdienen können“, berichtet Frank Gafke, stellvertretender LPG-Leiter - vom „Parkplatzunternehmer“ für geplante 6.000 Stellplätze bis zur Frittenbude ist alles drin. Ideal an der Autobahn Berlin-Hannover gelegen, hofft man auf 10.000 Besucher täglich. Und in denen sieht der LPG -Obere einen guten Markt vor der Haustür: Obststände sollen den Straßenverkauf bedienen.
Doch langsam werden die Dörfler auch nachdenklich: „Wir werden doch hier alle über den Tisch gezogen, das große Geld verdienen andere“, so ein Michelsdorfer. Und in der Tat. Im Kulturhaus machten die Erschienenen der 411 einzelnen Landbesitzer schon ihre ersten Erfahrungen mit den ruppigen Regeln des Kapitalismus. Ein Dumpingpreis von 9 Pfennigen Pachtzins pro Jahr und Quadratmeter wurde ihnen untergejubelt. „Ich will hier Geld machen. Und wer will, kann mitverdienen“, so die simple Botschaft Raspotniks. Der LPG-Vorsitzende Böttcher malt düstere Bilder: „Wenn ihr nicht zustimmt, dann wächst hier bald nur Heidekraut.“ Und im besten Kolonialstil rotzt der Safari-Vermittler gegen Umweltschutzbedenken einiger Bürger an: „Das geht sie 'nen Dreck an“ und zur taz: „Die sollen doch froh sein, daß ich mich überhaupt engagiere.“ Mittlerweile wollen nun die meisten verpachten.
Der Traum vom endlich nahegerückten Wohlstand führt im Dorf zu den verrücktesten Gerüchten. „Da hinten soll noch ein Hubschrauberlandeplatz gebaut werden“, berichtet einer, und von einer eigenen Autobahnabfahrt für die Anlage wird auch geträumt.
In Unkenntnis der West-Normen preist man den Wert der LPG -eigenen Bauten und will ausgerechnet mit ihnen noch einen Zuschlag verdienen. „Die werden abgerissen“, ist das knappe Statement Raspotniks. Daß der Pachtzins falsch errechnet ist, wird hingegen nicht erkannt: In einer westdeutschen Landwirtezeitung habe man diesen Preis für kargen Boden gefunden. Hoffentlich erkennen die Michelsdorfer noch, daß Gewerbegrund höher im Wert steht als dürres Ackerland.
Joachim Schurig
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