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Krank durch Körner und Kondome?

■ Allergische Beschwerden nehmen in der Bundesrepublik rapide zu / Göttinger Mediziner warnen vor Allergien infolge der Naturkostwelle

Schnupfen, Husten, Atemnot, Ekzeme auf der Haut, Migäne, Magen-Darm-Erkrankung und Gelenkschmerzen sind Beschwerden, die durch Allergien ausgelöst werden können. Nach Angaben des Allergikerbundes leiden etwa 20 Millionen Bundesbürger zeitweise darunter. Besonders häufig sind Kinder und Frauen betroffen. 33 Prozent aller Frauen zwischen 25 und 29 Jahren leiden daran, während nur 15 Prozent Männer der gleichen Altersstufe damit zu tun haben. Untersuchungen in Großbritannien und in der Schweiz haben die Zunahme von Heuschnupfen und allergischem Asthma bei Schulkindern nachgewiesen.

Einen Zusammenhang zwischen der Umweltverschmutzung und der Verbreitung von Allergien sieht der Vorsitzende des Asthma und Allergikerbundes, Winfried Kösters. Schadstoffe könnten allergische Reaktionen verursachen. Epidemiologische Untersuchungen aus Schweden, Japan und Israel hätten gezeigt, daß allergische Erkrankungen in Gebieten mit hoher Schwefeldioxid-Belastung und in Gebieten mit starkem Autoverkehr zunehmen. Auch Dioxine, Furane und die lange in Holzschutzmitteln enthaltenen PCBs könnten eine unmittelbar allergische Wirkung haben.

Der Allergiker- und Asthmabund hält die Forschungsförderung der Bundesregierung für verfehlt. Das 30-Millionen-Mark -Programm zur Allergieforschung sei „aus dem Fenster rausgeschmissen und an den Betroffenen vorbei gemacht worden“, resümierte Kösters anläßlich des 5. Deutschen Allergietages vergangenen Samstag in Bonn. Die Forschung müsse mehr auf den Patienten konzentriert sein, statt dessen werde „Pollenzählerei“ betrieben.

Wenn es nicht in Mode geraten sollte, afrikanische Wanderheuschrecken als Haustiere zu halten, dann werden Allergien nach dem Kontakt mit diesem Insekt eine exotische Ausnahme in Mitteleuropa bleiben, mit der sich allenfalls Wissenschaftler und Heuschreckenforscher herumzuplagen haben. Anders sieht es mit Allergien nach dem Verzehr von Sonnenblumen- oder Pinienkernen aus: Sie könnten, ebenso wie Gummi-Kontakt-Allergien, schon bald viele Menschen heimsuchen.

Für diese Vermutung gibt es nach Meinung von Thomas Fuchs, Leiter der Allergieabteilung an der Göttinger Universitäts -Hautklinik, ernstzunehmende Gründe. „Wir müssen damit rechnen, daß im Zuge der Naturkostwelle die Allergien auf Kerne und Körner zunehmen“, befürchtet der Mediziner. Je mehr Menschen ihre Ernährungsgewohnheiten änderten, so Fuchs, desto häufiger würden durch Kerne und Körner ausglöste allergische Reaktionen in der Praxis auftreten.

Daß Sonnenblumen- und Pinienkerne, ob nun im Müsli und Vollkornbrot versteckt oder pur geknabbert, allergische Reaktionen auslösen können, gilt schon länger als gesicherte Erkenntnis. In den letzten Monaten haben diese Allergien aber auffällig zugenommen. So berichtete Fuchs von einer Patientin, deren asthmatische Beschwerden sich nach einem Allergietest als allergische Reaktion auf Sonnenblumenkerne entpuppten. Eine andere Frau erlitt einen allergischen Schock, nachdem sie Pinienkerne gegessen hatte.

Auch die Gummi-Kontakt-Urtikaria, eine besser unter dem Namen Nesselfieber bekannte Soforttypallergie, könnte sich nach Ansicht des Göttinger Allergieexperten schon in naher Zukunft rasch verbreiten. Waren davon bisher vor allem professionelle Handschuhträger wie Chirurgen, aber auch Hausfrauen sowie Reinigungs- und Krankenhauspflegepersonal betroffen, so hat sich dieser Kreis im Zuge des Schutzes gegen Aids inzwischen um Zahnärzte und Gynäkologen erweitert. Juckende Nasen und ständiges Niesen in den Operationsräumen deuten nach Fuchs‘ Meinung aber noch auf einen anderen Verursacher hin: „Möglicherweise lösen auch schwebende Gummipartikel, die durch Klimaanlagen im gesamten Operationssaal verteilt werden, die Symptome aus“.

Eine Zunahme von Gummi-Allergie-Erkrankungen erwartet Fuchs nicht zuletzt auch durch den häufigeren Gebrauch von Kondomen. „Schon bei der Anamnese“, dem Erfragen der Lebensgeschichte, sollten Hautärzte in Zukunft auf „solche Zusammenhänge achten“.

Nach den Erfahrungen der Göttinger Hautklinik reagieren die Betroffenen dabei nicht nur auf die Latexbestandteile von Gummi allergisch. Bei verschiedenen Tests wurden zusätzlich Vulkanisierungsbeschleuniger wie Tetramethylthiuramsulfid (TMTD) und Mercaptobenzothiazol (MBT) - das sind die für die Gummi-Herstellung notwendigen organischen Substanzen - als Auslöser für die Gummi-Soforttypallergie ermittelt.

Zum Nachweis dieser Allergie haben die Göttinger Allergologen einen neuen bestechend einfachen Hauttest entwickelt. Als Testsubstanz dient schlichtes Wasser, in das die verdächtigen Gummihandschuhe für 20 bis 60 Minuten, in Einzelfällen auch länger, eingelegt werden. Reagiert die mit Wasser bestrichene Hautfläche durch die Herausbildung roter Quaddeln, sind die Tester einem Fall von Gummi-Kontakt -Urtikaria auf die Spur gekommen.

Reimar Paul

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