Schuld ohne Ende

■ Wer versteht schon die Raucher? / Ein hilfloses Plädoyer von einem, der immer im Unrecht ist

Das Thema ist der Dauerbrenner, im wörtlichsten Sinne des Wortes. Dagegen sind Momper, Nagel, Schreyer, die Umbrüche im Osten, der Kita-Konflikt, Kreuzberger Szene und was sonst noch alles so regelmäßig über dem Redaktionsgroßraumbüro hängt, gar nichts. Richtig: Die Rede ist vom blauen Dunst unserer Glimmstengel. Kein Tag ohne Ermahnungen, kein Zug ohne schlechtes Gewissen, keine Diskussion ohne die obligatorischen Anträge, „Erinnerungen“ und Drohungen. Und schnell werden Rauchergesichter schuldbewußt oder trotzig -genervt, gerade angezündete Kippen landen im Ascher. Und immer wieder versuchen wir's von Neuem. Wir Raucher einerseits, indem wir eisern der Sucht zu widerstehen versuchen. Und andererseits, indem wir teils unbewußt, teils in der Hoffnung, nicht ertappt zu werden, doch wieder zur Fluppe greifen. Und sofort, wenn Nichtraucher-Kollege D. die Treppen zum Fernschreiber hinabsteigt oder Nichtraucher -Kollegin K. Kaffee holen geht, flackern plötzlich an vier Schreibtischen Feuerzeuge auf. Doch so richtig stellt sich auch dann der Genuß nicht ein. Jener Genuß aus jenen glücklichen Tagen, als man die Luft in Zeitungsredaktionen noch schneiden konnte. Nicht mehr, seit wir „den Beschluß“ haben.

Seither gibt's zwar ein wenig mehr sauberen Sauerstoff. Aber so richtig glücklich ist dennoch niemand. Den Nichtraucher plagt weiterhin - nun illegaler - Rauch, verbunden mit dem Gefühl, ständig Ordnungshüter spielen zu müssen. Unmittelbar nach „dem Beschluß“ zogen wir in Scharen in den angrenzenden Setzerbereich, wo wir sofort von einem entnervten Nichtraucher am Bildschirm weiter vertrieben wurden. Dann endete der Exodus kurzzeitig im benachbarten liberalen Feuilleton, eine glückliche Insel, auf der nach wie vor fröhlich gequalmt wird. Dort endete das Asyl jedoch binnen kürzester Zeit, weil man das bißchen Luft im kleinen Kulturbüro bitteschön selbst verqualmen wollte. Weiter ging's auf den Gang vor der Anzeigenabteilung, in die der blaue Dunst zusammen mit den Phons der laut palavernden Raucher mangels richtiger Wand aber sofort einzog. Eine hier eingerichtete Sofaecke mit Aschenbecher hielt sich folglich nur wenige Stunden, dann prangte ein rotes, rundes Verbotsschild mit einer durchgestrichenen Kippe an der Wand. Schließlich hockten wir schlotternd, düster paffend und mit kaltem Hintern auf den Steinstufen im Hintertreppenhaus.

Hier enstand auch die Erkenntnis, daß Demokratie - so unnachgiebig man auch sonst für sie eintritt - ihre Grenzen hat. Denn rechnerisch brächten es die Kunden der Tabakkonzerne in der taz-Berlin an den meisten Arbeitstagen leicht zu sogar verfassungsändernden Zweidrittelmehrheiten. Doch so radikaldemokratisch will ja nun auch wieder niemand sein...

Zumal wir kapiert haben, daß die Nichtraucher echt unter dem Mief leiden. Wenn die nur mal kapierten, daß wir auch gleich mehrfach - leiden: 1. weil wir nicht dürfen; 2. weil wir's trotzdem tun und uns schuldig fühlen; 3. weil wir gegen alle Vernunft schwach und liederlich dem Laster anhängen; und 4. weil keiner versteht, daß wir mit dem Stengel zwischen den Lippen halt am besten schreiben, denken und am nettesten plaudern. Sollen wir also nun heute zum Weltnichtrauchertag, ähnlich wie zum Muttertag, vielleicht wenigstens einmal im Jahr...? - fragt völlig hilflos und mit einer Marlboro zwischen den tippenden Fingern

tom