: Der Hase und die Igel
Antwort der AL-Fraktionsvorsitzenden Künast auf den Kommentar von Klaus Hartung „Berliner Einheit - die AL kalt erwischt“ in der taz vom Dienstag, Seite 10 ■ D E B A T T E
In seinem Kommentar zum Plan der SPD, drei Westberliner Senatoren in Personalunion zu Ostberliner Stadträten zu machen, hatte taz-Redakteur Klaus Hartung der AL Prinzipienreiterei, Verzicht auf politische Verantwortung und Realitätsverlust vorgeworfen. Darauf antwortete Fraktionschefin Künast gestern mit folgendem Beitrag:
Klaus Hartung hat die Schublade „Vorurteile“ herausgezogen, und hervorkam, daß jedes klare Nein der AL im Zusammenhang mit dem Einigungsprozeß nur auf einen Realitätsverlust angesichts der Zeichen der Zeit und auf Angst vor Verantwortungsübernahme beruhen kann. Diese Schublade versperrt den Blick auf das politische Abenteuertum, das der Vorschlag von Schwierzina - wenn's denn seiner war? beinhaltet. „Volkes Mund tut Wahrheit kund“, heißt es, und so sollten uns dessen Wahrheiten zu denken geben: „Niemand kann zwei Herren zugleich dienen.“
Eine Senatorin, die in West-Berlin die (rechtstheoretisch!) für Gesamtberlin geltende Eidesformel spricht und in Ost -Berlin schwört, die Interessen (nur) der Ostberliner zu vertreten, und somit jeweils in eine rot-schwarze und rot -grüne Koalition eingebunden ist und entsprechend divergierende Staats-, Magistrats-, Abgeordnetenhaus- und Stadtverordnetenbeschlüssen unterliegt, praktiziert angewandte Schizophrenie - mehr nicht.
Bei allen Ideen der Vereinfachung der Verbindung des zukünftigen Gesamtberlins, bei aller Notwendigkeit tatkräftiger Nachbarschaftshilfe von West nach Ost - es gibt unterschiedliche Interessenlagen in Ost und West. Kohl praktiziert das galoppierende Setzen von Fakten, Berlin wird seinen Prozeß schon wegen der Finanzen parallelisieren (müssen). Aber sollte Berlin als Chance eines Gegenmodells zu Bonn dem Artikel 23 die Krone aufsetzen und durch die personalisierte Interessenkollision bei den politischen Entscheidungsträgern die letzte Möglichkeit eigener Positionen für die Ostberliner bei Konflikten gegenüber Westberliner Interessen zerstören?
Bonn führt in diesen Monaten die Macht der Exekutive gegenüber der nachhinkenden Legislative exemplarisch vor. Parlamentarische Kontrolle ist in diesen Zeiten schwer und nur reduziert vorhanden. Die Idee der gegenseitigen parlamentarischen Kontrolle einer Ost-/West-Senatorin ist ein schöner Traum, tatsächlich hebt sie sich bei Divergenzen nicht nur gegenseitig auf, sondern überläßt der Exekutive noch vollends das Feld.
Mag sein, daß die AL kalt erwischt wurde, aber kalt geduscht haben am Dienstag andere. Ost-Berlin braucht fachliche Beratung in den Verwaltungen, Kooperationen und Hilfe auch angesichts der personellen Zusammensetzung ihrer Behörden. Ost-Berlin braucht aber nicht Senatoren, die in die Geschichtsbücher eingehen, von Termin zu Termin hetzen und Symbole der Entmündigung werden.
Ost-Berlin sollte nicht Bühne werden für die, die noch vor dem 2.Dezember mit Kohl Hase und Igel spielen wollen, die rufen wollen: „Bin schon da!“
Renate Künast
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