: MELANCHOLISCHER ENTERTAINER
■ Der Maler und Graphiker Andor Weininger im Bauhaus-Archiv
Wer in die kleine wunderbar aufgebaute Ausstellung über den ungarischen Maler, Graphiker und Designer Andor Weininger, dessen Nachlaß das Bauhaus-Archiv in einer Retrospektive präsentiert, hineinwill, muß an einer zur Lebensgröße aufgeblasenen Fotografie des Künstlers inklusive seiner in Zahlen aufgelösten Biographie vorbei. Auf dem Foto sitzt Andor Weininger artig am Klavier und macht ein säuerliches Gesicht, als hätte er sich gerade einen Finger zwischen die Tasten geklemmt. Von der anarchischen Atmosphäre, die man sonst von Schnappschüssen des Weimarer und Dessauer Bauhauses kennt, ist hier nichts zu finden. Einem Bestattungsorganisten ähnlich, im dunklen Anzug, den Krawattenknoten bis zur Strangulation gebunden, mit brav geschniegeltem Haar und einer Brille auf der Nase über dem leicht gepreßten Mund blickt Weininger hinter den Notenblättern zurückhaltend ängstlich ins Objektiv, als wolle er mit einem unauffälligen Diener in leicht gefärbtem Akzent sagen: „Darf ich bitte mich vorstellen, bin derjenige, der dem die das Klavier spielte, o selige Zeit an Bauhaus-Festen.“ Weiniger über Weiniger.
Andor Weininger brachte damit 1953, auf Walter Gropius‘ 70. Geburtstag, eine Zeit in Erinnerung, die so lustig für ihn nicht war. Zwar behauptet der Katalog in verklärender Weise, Weininger sei einer derjenigen gewesen, „die den sprichwörtlichen Geist dieser Schule mitbegründet haben“, er wäre eine „Bauhaus-Legende“ und „Integrationsfigur“, die mit Lust und guter Laune Kunst und Leben zum Gesamtkunstwerk stilisiert habe. Doch täuschen die ausgestellten Fotografien und Dokumente nicht darüber hinweg, daß der lustige Possenreißer und Bauhaus-Clown ein eher stiller Typ und melancholischer Entertainer war. Die Unterhaltung war, so scheint es, nur Weiningers Manie, mit der er sein Selbstbewußtsein aufpolierte. Den hellsichtigen Narr am Bauhaus aber konnte Andor Weininger nicht spielen. 1964, auf Gropius‘ 81. Geburtstag, sagte der ehemalige Direktor zu Weininger und dessen Zeit am Bauhaus: „Sie waren wirklich sehr wichtig für uns. Aber da gab es auch ein Problem mit Ihnen. Sie waren zu schüchtern.“
Auch war der Alltag für den schüchternen Gründer der Bauhaus-Kapelle und Erfinder der Mechanischen Bühnen -Revue doppelt schwer, weil ihn ständig die Geldnot plagte und zwang, sein Studium häufig zu unterbrechen. 1921, gerade ans Bauhaus aufgenommen, mußte er den arbeitsintensiven Vorkurs bei Itten wieder aufgeben, um sich in Weimar als Tapezierer durchzuschlagen. 1923 jobbte Weininger als Theaterautor und Bühnenbildner im Hamburger Kabarett „Die Jungfrau“, wo er auch als „keusche Wirtin“ in einer kleinen Rolle auftrat. Am Bauhaus gründete er zunächst eine Ein-Mann -Band für Alleinunterhaltungsauftritte, die er allmählich zu einer semiprofessionellen Kapelle erweiterte, um durch Engagements in der Weimarer Umgebung, aber auch in Berlin, auf Tanzfesten die Kasse aufzubessern. 1925, an Unterernährung leidend, brach er zusammen mit Sepp Maltan, einem Bauhäusler, nach Berchtesgaden auf, um dort die luxuriösen Sommerhäuser wohlhabender Bayern anzupinseln. Erst 1926 ermöglichte ihm Gropius, durch ein Stipendium bis 1928 eine erträgliche Existenz am Bauhaus zu führen.
Durch die „musizierende Legende“ geriet die Kunst Weiningers nach seinem Tod gänzlich ins Abseits. Abgesehen von einem jämmerlichen Versuch, 1988 die Mechanische Bühnen-Revue zu rekonstruieren, waren seine winzigen Skizzen und kleinen bunten Zeichnungen, seine Figurinen und Theaterprojekte zu Unrecht in der Versenkung verschwunden, läßt doch sein künstlerisches Oeuvre eine experimentelle Handschrift erkennen, die im Unterschied zu den strengen abstrakten Formen und schnittigen geometrischen Kuben des Bauhaus-Stils spielerisch bleibt.
Sind Weiningers Skizzen 1921 noch Studien zu Farbabstufungen, wie sie im Vorkurs bei Itten gelehrt wurden, so werden seine Kompositionen unter dem Einfluß Theo van Doesburgs De Stijl zu farbigen Testverfahren in der Zweidimensionalität. Das Quadrat wird in viele kleine Rechtecke unterteilt und mit allen nur möglichen Variationen bezüglich seiner Farben und Flächen verschieden ausbalanciert. Der konzeptionelle Charakter der Entwürfe und Skizzen wird noch dadurch unterstützt, daß die kleinformatigen Bildchen - oft auf Millimeterpapier gezeichnet - mit ausführlichen Notizen, detaillierten Berechnungen zur Proportion der Farbflächen und unterschiedlichen Maßangaben versehen sind. Das Einzelblatt gerät so zur „Version“, wie Andor Weininger seine Arbeiten beschrieb, und weist damit auf einen über das Einzelwerk hinausgehenden Kontext, der dem Kunstwerk nicht den Charakter des Einmaligen, Abgeschlossenen und Endgültigen gibt, sondern es als Idee für den Prozeß möglicher Fassungen eines Themas begreift.
Auch Weiningers bekannteste Arbeiten der Bauhauszeit, seine Entwürfe für eine Mechanische Bühnen-Revue (1926) und die Skizzen für ein visionäres „Kugeltheater“ (1927) sind in der Retrospektive als „Versionen“ einer Abfolge sich entwickelnder und dabei präzisierender Fragestellungen und ästhetischer Vorgehensweisen dargestellt. Die geometrischen Grundformen - Kreis, Quadrat und Dreieck - und die von Kandinsky aufgestellten farblichen Zuordnungen - blau, rot und gelb - probiert Weininger nun nicht mehr auf der Fläche, sondern im Raum aus. Die mechanische Bühnenkonstruktion mit sich drehenden Seitenkulissen, gleitenden vertikalen und horizontalen Streifen, rotierenden Spiralen und schwebenden Puppen und Figuren in blinkenden Lichtern mit einer Geräuschkulisse war ein evidentes Mittel, die metaphysischen Bedeutungen von Rationalität und Funktionalität für die Bühne zu beweisen.
Weiningers „Kugeltheater“ sollte die traditionellen Bauformen herkömmlicher Guckkasten-Bühnen sprengen. Eher wie in einem Panoramagebäude sind in seinen Entwürfen die Zuschauerränge ringförmig in die innere Kugelwand eingelassen und umschließen die zentrale Bühne, die sich jedoch nicht nur auf den manegenartigen Freiraum am Boden beschränkt, sondern mit Hilfe einer Gerüstkonstruktion durch den gesamten Innenraum gefahren werden kann. Auf zwei Skizzenblättern ist zu sehen, wie sehr sich Weininger für veränderbare Publikumssituationen interessierte, um die aktive Teilnahme des Zuschauers im Theater zu ermöglichen.
Weiningers Bruch mit dem Bauhaus, 1928, stellte auch einen Abschied von seinen komplexen geometrischen Farb-, Flächen-, und Raumkompositionen dar. Statt dessen wandte er sich einer surrealistisch anmutenden, antropomorphen Ästhetik zu, in der er jedoch den witzigen und verspielten Charakter seiner einstigen Entwürfe beibehielt. Erst Mitte der 60er Jahre, in New York, wohin Weininger nach seinem holländischen Exil ausgewandert war, tauchten erneut bauhausverdächtige Zeichnungen auf. Die variierbaren Konzeptionen sind in den Bonbonfarben der amerikanischen Spätmoderne heute noch als Duschvorhänge und bauchiges Spielzeug zu haben.
rola
Die Ausstellung ist bis zum 26. August im Bauhaus-Archiv zu sehen, täglich außer Dienstag von 11 bis 17Uhr, Freitag bis 20 Uhr. Montag freier Eintritt. Der Katalog kostet 49 Westmark.
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