: „Der Braten ist im Ofen“
■ Gianni Bugno hat nach den Dolomiten den Sieg beim Giro praktisch in der Tasche
Mailand (taz) - Wenige Tage vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft schaut Italien erstaunlicherweise nicht ausschließlich auf seine „squadra azzurra“, die in Arezzo beim 3:0 gegen Norbert Nachtweihs mediokres Team aus Cannes wenigstens die gröbsten Sorgenfalten auf den Tifosi -Stirnen glätten konnte. Ein gewisser Gianni Bugno hat das Land elektrisiert. Seinetwegen glichen die Dolomiten am Samstag einem gigantischen Ameisenhaufen. Zehntausende pilgerten in die sonst eher einsame Bergwelt um Marmolada und Pordoi, um der „Königsetappe“ des Giro d'Italia beizuwohnen, jener Radrundfahrt, die eben dieser Gianni Bugno aus Monza seit dem ersten Tag anführt.
Ein Italiener im „Rosa Trikot“, mit besten Aussichten, den Giro zu gewinnen, das hat es lange nicht mehr gegeben, und so wurden die letzten zwölf Kilometer, die hinauf zur „Cima Coppi“, dem nach dem großen italienischen Rad-Idol Fausto Coppi benannten Zielort am Passo Pordoi führen, von einer dichten Menschenkette gesäumt. Einen solchen Massenauftrieb habe er bislang nur bei der Tour de France in Alpe d'Huez gesehen, grub eine andere Radsportlegende Italiens, Felice Gimondi in seiner Erinnerung, während sein Legendenkollege Francesco Moser sogar in der Giro-Geschichte fündig wurde: 1984, erinnerte er sich, bei einer Etappe nach Arabba, sei es ähnlich gewesen. „Der Pordoi ruft! Bugno, antworte“, verlangte ein Transparent, und Gianni Bugno ließ sich nicht lumpen.
Nach der ersten Alpenetappe am Tag zuvor hatte der Spitzenreiter noch eine ganze Reihe von Gegnern zu fürchten gehabt. Da war vor allem der Franzose Charly Mottet, 4:17 Minuten hinter Bugno auf dem dritten Platz, Marco Giovannetti, der Zweitplazierte (4:13), dem aber kaum jemand den großen Wurf zutraute, nachdem er kurz vor dem Giro die Spanienrundfahrt gewonnen hatte und praktisch seit 40 Tagen auf dem Rad sitzt, der Italiener Chioccioli, aber auch die Spanier Chozas und Lejarreta. Nach der Pordoi-Etappe blieb nur noch Mottet übrig.
Der Franzose war tags zuvor mit Bugno und Chioccioli allen davongefahren, hatte sich jedoch geweigert, Führungsarbeit zu leisten, was ihm Chioccioli ziemlich übel nahm, da die Gruppe so keine Chance hatte und wieder eingeholt wurde. Taktische Gründe wurden allgemein für die defensive Haltung Mottets vermutet, doch der tat kund, er habe einfach keine Chance gesehen, Bugno abzuhängen. „Es war sofort deutlich, daß Chioccioli und ich auf simplen Fahrrädern saßen, Bugno aber ein Motorrad unter sich zu haben schien.“ Ein Phänomen, das sich beim Aufstieg zur Cima Coppi wiederholte. Zusammen hatten sich Bugno und Mottet abgesetzt, immer wieder suchte der Franzose sein Heil in der Flucht, doch das Rosa Trikot blieb ihm locker und unbarmherzig auf den Fersen.
Auf den letzten, mörderischen Kilometern weigerte sich Bugno sogar, Mottet Führungsarbeit leisten zu lassen, weil er ihm offenbar nicht über den Weg traute. Viermal übernahm der Franzose die Spitze, jedesmal überholte ihn Bugno sogleich unter dem Jubel der enthusiastischen Fans, die ihn mit „Coppi, Coppi„-Rufen beflügelten. Der totale Triumph, ein Etappensiegauf der Cima Coppi, blieb ihm jedoch wegen eines Schaltfehlers verwehrt. „Ich hatte mich für einen eventuellen Spurt für eine harte 53x15-Übersetzung entschieden und den Gang schon zwei Kilometer vor dem Ziel eingelegt“, schilderte Mottet das Finish, „als Bugno auf der Zielgeraden schalten mußte, hatte ich den Gang schon drin.“
Der Franzose gewann die Etappe mit vier Sekunden Vorsprung, was dem Jubel des Spitzenreiters aber nur geringen Abbruch tat. 4:13 Minuten betrug nun der Abstand zu Mottet, alle anderen Konkurrenten aber waren endgültig abgeschüttelt. „Wenn Gianni keinen Unfall hat“, gab Mottet unumwunden zu, „ist der Giro vorbei.“ Er habe das Ganze sowieso nur als einen Weg betrachtet, „für die Tour in gute Verfassung zu kommen“, und sei auch so höchst zufrieden.
Auf der 17., der letzten Bergetappe am Sonntag, die der Venezolaner Sierra gewann, verzichtete auch Charly Mottet darauf, eine imaginäre letzte Chance zu suchen. Geruhsam konnte der neue Liebling Italiens sein hübsches Trikot nach Aprica rollen, und er leistete sich sogar das Vergnügen, den Spurt des Hauptfeldes zu gewinnen. Bugno wurde Vierter und redete danach nur noch in Sprichwörtern. „Ich habe das Eisen geschmiedet, solange es heiß war... der Braten ist im Ofen... die Würfel sind gefallen“, jubelte der glückliche Mann aus Monza, und drei Tage vor dem Ende des Giro mochte ihm keiner mehr widersprechen.
Bugnos Schwäche war bisher immer ein gewisser Mangel an Mut in entscheidenden Situationen gewesen, und auch vor diesem Giro hatte er Bernard Hinault anvertraut, daß er die Dolomiten fürchte. „Wenn du die Angst im Rücken hast, wirst du den Giro verlieren“, war die kategorische Antwort, die sich Bugno offenkundig zu Herzen nahm. Nun bekam er hohes Lob vom berühmten „Dachs“ aus der Bretagne, der es sich nicht nehmen ließ, bei dieser Gelegenheit auch seinem alten Rivalen Laurent Fignon, der den Giro wegen eines Sturzes aufgegeben hatte, einen Seitenhieb zu verpassen: „Diesen Bugno hätte auch Fignon nicht geschlagen.“
Matti Lieske
Gesamtklassement: 1. Bugno 84:15,50 Std., 2. Mottet 4:13 Min. zurück, 3. Giovannetti 6:40, 4. Etxabe 9:37, 5. Chioccioli 10:06, 6. Pulnikow 10:30, 7. Lejarreta 13:11, 8. Ugrumow 13:12
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