: Let's face it
■ Gilbert & George in New York City
Wovor habt ihr Angst?“ - „Alles macht uns Angst“, antwortet George, indem er sich eine Zigarette anzündet. „Fürchtet ihr den Tod?“ - „Nein“, meint George. „Wir fürchten das Leben“, meint Gilbert. „Darum sammeln wir Dinge, als Puffer dagegen. Wir glauben, daß alle Menschen Angst haben.“ - „Erlebt ihr Einsamkeit?“ - „Natürlich“, meint George. „Wir haben viele Arbeiten zu diesem Thema gemacht.“ - „Was macht euch glücklich?“ - „Das gehört nicht zu unseren Interessen.“
Die Lakonie dieser Sätze (aus einem Interview der Schweizer Kunstzeitschrift 'Parkett‘) nimmt den Aussagen jeden existentiellen Schwulst. Mit britischer Unerschütterlichkeit und feinem Humor sezieren Gilbert & George ihren eigenen zitternden Kern: darum zu zweit sein, als Puffer dagegen. Ohne Augenblinzeln tun sie, was schön und unübersetzbar „face it“ heißt. In dieser Auseinandersetzung führen die beiden künstlerische Waffen ins Feld: Symmetrie, Muster, Raster und schwarze Konturierung der Figuren. Leuchtende Farben kreischen wie der Schrecken und helfen, ihn zu bannen. In der Robert-Miller-Galerie sind Photographien wie Mosaiksteine zusammengefügt. Die Motive gewinnen durch rapportartige Wiederholung im Verbund die dekorative Wirkung eines Musters, einem arabischen Teppich nicht unähnlich. Hier filigran und kleinformatig, fahren G & G in der Sonnabend-Galerie starke Geschütze auf: The New Cosmological Pictures.
Auffallend häufig begegnen aufgerissene Augenpaare dem Blick des Betrachters. Die beiden verwenden photographische Darstellungen von Augen oder auch gepaarte Rundformen, die wir biologisch konditioniert, als Blick wahrnehmen. Wieder ist die magische Zahl „zwei“ das Doppelte, für Gilbert & George von Bedeutung. Die übertriebene Symmetrie gibt den Bildern etwas Starres, als werde versucht, inneren Aufruhr einzufrieren. In „Blood Heads“ schweben die halslosen Köpfe der beiden vor einem roten Hintergrund, bedeckt mit Tropfen. Wehrlos sind die Augen geschlossen, doch die Köpfe bilden wiederum ein wachsames, übergroßes Augenpaar. Die beiden scheinen in ihre eigenen Blutbahnen hinabgezogen zu sein. Die Blutstropfen, wie unter dem Mikroskop vergrößert, erregen den Verdacht auf Krankheit und Infektion.
G & G übermalen die vergrößerten Photographien mit transparenter Farbe. Das technische Hindernis, Arbeiten nicht in der gewünschten Übergröße anfertigen zu können, überwanden die beiden mit einem Kunstgriff, der mittlerweile zu ihrem Markenzeichen geworden ist. Sie montieren verglaste und schwarz gerahmte Ausschnitte aneinander und unterlegen der Gesamtkomposition dadurch eine Gitterstruktur, die in Verbindung mit der klarleuchtenden Farbigkeit der Bilder an Glasmalerei erinnert. Diesen stark formalen Mitteln setzen G & G provokative Bildelemente mit phallischen und fäkalen Elementen entgegen. In Down To Earth scheinen die stark vergrößerten körperlosen Köpfe der beiden ihre eigenen Konterfeis zu verschlingen, oder auch lustvoll an ihnen saugen zu wollen. Die sexuellen Anspielungen in den Bildern wären wohl kaum zum Anlaß harter Kritik geworden, ließen G & G nicht ihren homosexuellen und päderastischen Phantasien freien Lauf. Der entblößte Körper eines Mannes erregt mehr Anstoß als der einer Frau. Der Rat der zwei kommentiert: „Besäßen die Frauen die Scheckbücher, wäre die Kunst voll nackter Männer.“
Ihr Herz schlägt offensichtlich für Jünglinge in Jeans und Muskelshirts, die ungelenk unschuldig für die Aufnahmen posieren. Die Gruppe, aus der sie ihre Modelle rekrutieren, ist durch die Aids-Epidemie in großer Gefahr. Schon immer beschäftigten sich G & G in ihren Bildern mit dem Tod. Doch diese Bedrohung gibt ihnen eine neue Lesart. Den Erlös ihrer letzten großen Londoner Ausstellung spendeten G & G wohltätigen Zwecken im Kampf gegen Aids.
Das Heer der schönen Knaben, die sich so sehr gleichen, spiegelt die homosexuelle Kultur, die kurzen wechselnden Kontakte, die auf das Aus- und Anmachen des potentiellen Liebhabers ausgerichtet ist. Der erste schnelle Blick schafft schon Verständigung, denn ein System von Signalen hilft bei der Suche. Wieder begegnen G & G einer Obsession mit dem Drang zu sammeln, sei es auch nur das Abbild der Geliebten. Religion und Sexualität sind die treibenden Kräfte im Werk von Gilbert & George. Ihr freizügiger Umgang damit hat sie schon einige Male in Konflikte mit der Kirche gebracht, die vehement gegen außereheliche und gleichgeschlechtliche Bindungen anarbeitet, obwohl oder gerade weil Scharen von zölibatären Priestern zu ihren Brüdern finden. Wie David Hockney oder Francis Bacon hatten G & G Beschimpfungen in Kauf zu nehmen. Das Duo hat kundgetan, wahre Kunst entspringe dem Gehirn, der Seele und der Sexualität. Diesem Wahlspruch werden sie gerecht.
Kathrin Krumbein
Gilbert & George: Sonnabend Gallery, 420 West Broadway, bis 15.9.; Robert Miller Gallery, 41 ES 7th, 1.5. bis 2.6.
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