: Fürs liebe Vaterland säbeln und singen
Die Deutschen Burschenschaften feierten in Berlin ihren 175. Jahrestag / „Von der Maas bis an die Memel“ soll es wieder heißen ■ Aus Berlin Ralf Zünder
Sie sind wieder da, und zwar stärker denn je, seit in deutschen Landen ein neues Nationalgefühl erwacht ist: Etwa 150 Burschenschaften gibt es im deutschsprachigen Raum. 135 von ihnen haben sich im 22.500 Mitglieder zählenden Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ zusammengeschlossen. Im März dieses Jahres konnten sie sich erstmals nach langen Jahren des Verbots wieder in Eisenach zum traditionellen Wartburg-Fest treffen. 18 Burschenschaften sind bisher in der DDR - die im Sprachgebrauch der Korporierten Mitteldeutschland heißt - wieder- oder neugegründet worden.
Zustimmung auch auf offizieller Hochschulseite sowie eine von der Bundesrepublik her ungewohnte Vorurteilsfreiheit. Die Ost/West-Kontakte sind eng. „Waffenbrüder“ aus dem Westen haben beispielsweise schon ein Sonderkonto eingerichtet zwecks Beschaffung der „für einen ordentlichen Paukbetrieb unbedingt nötigen Fachutensilien“. Mitte Juni wird man am historischen Ort, „auf dem Markt des wieder freien Jena“, der Gründung der ersten Burschenschaft vor 175 Jahren gedenken. Für die offizielle Jubiläumsfeier indessen mußten die etwa 2.500 teilnehmenden jungen „Aktiven“, die „Alten Herren“ mitsamt Damen und sonstigen Gäste am vergangenen Wochenende noch mit dem Kongreßzentrum der „deutschen Hauptstadt Berlin“ vorliebnehmen. Aber den Saal 2 des ICC hatte man denn aber auch mit hunderten von Quadratmetern des so stolzerfüllenden schwarz-rot-goldenen Stoffes ausstaffiert.
Haben sie sich geändert, die Burschenschaften, die in der Weimarer Republik eine so unheilvolle Rolle spielten? Sie seien demokratische Patrioten, ist zu hören, und müsse unterscheiden zwischen Nationalgefühl und Nationalchauvinismus, den sie natürlich ablehnten. Eine Neuvertreibung, einen aggressiven Akt der Grenzveränderung lehne man kategorisch ab. Aber man setze sich ein für volles Minderheitenrecht und Selbstbestimmungsrecht der Völker gerade in Osteuropa. Insofern müsse auch ein Anschluß Österreichs an die deutsche Nation (für den die meisten österreichischen Burschenschaften plädieren) vom österreichischen Volk selbst bestimmt werden. Ob sie sich als Elite verstehen? Dazu bekennen sie sich ohne Ausnahme.
Die „Festrede“: Der Konstanzer Soziologieprofessor und Burschenschaftler Horst Baier widmet seinen Festvortrag den Frauen und Jungfrauen Jenas, die 1815 die Fahne der Bewegung genäht haben: „Und damit, meine Damen, bitte ich Sie, in Nachfolge der Frauen und Jungfrauen von Jena uns den Glanz Jenas in diese Messehalle zu bringen.“ Die Burschenschaften seien Männerbünde, weiß Professor Baier. „Wo sind unsere Frauen?“, habe er sich gefragt und sogleich hat er eine wohlfeile Antwort parat: „Ganz einfach: Es sind unsere Ehefrauen, unsere Mütter und Töchter, unsere Bräute...“ Pause: “...und Freundinnen.“ Längere Pause. „Wir haben keine Karriere- und Emanzenfrauen unter uns. Es ist ein altes Verhältnis, das wir in der Ehe und Familie hochhalten. Unverzagt singen wir die erste Strophe des Deutschlandliedes, aber wir lieben die zweite, die von der Frauenliebe und Freundestreue.“
Vom 1817er „Brause Du Freiheitssang“ aus durcheilt Baier 175 Jahre Burschenschafts-Geschichte voller „mörderischer Kämpfe“, „Männerhoffnungen“, „Niederlage und Tod“, „sieghaften Sedanstagen“ („Laut donnerten die Salamander, hell klangen die Mensurschläger“). Dann dreht er den „Kompaß der Geschichte“ auf die Gegenwart, spricht von der Zukunftsaufgabe der „dritten deutschen Republik“, nachdem er zuvor nicht vergessen hat, seine Zuhörer vor den „Schalmeienklängen der Ideologen“ Habermas und Lafontaine zu warnen.
Ein Delegierter aus Wien darf auch einmal einen Blick in die Zukunft werfen, denn die Utopien der Burschenschaftler seien bisher oft zu zaghaft ausgefallen. „Hätten wir die deutsche Wiedervereinigung erwartet, hätten wir erwartet, daß in einem österreichischen Bundesland ein Burschenschaftler Landeshauptmann werden würde? So erlaube ich mir eine Utopie über den Osten Deutschlands. Nämlich die Utopie, daß den Rußlanddeutschen der Norden Ostpreußens als Siedlungsgebiet zugestanden wird und sie dort eine autonome Republik gründen dürfen.“ Das „Modell Südtirol“ möge man sich für die ostdeutschen Gebiete vor Augen halten.
„Ich darf Sie herzlich grüßen...„ - Hanna Renate Laurien, ehemalige CDU-Bürgermeisterin, darf die Burschenschaftler im Namen aller Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses, auch im Namen aller Berlinerinnen und Berliner und ganz besonders vom CDU-Landesvorsitzenden Eberhard Diepgen grüßen.
Man lobe den Tag nicht vor dem Abend. Abends um acht: „Festkommers. 20 Uhr: Einmarsch der Chargierten“ nennt sich laut Programm das Spektakel. Es ist heiß im Saal 2 des ICC. Punkt acht werden die Saaltüren aufgerissen, die Herren lassen vom Bierkurg ab, erheben sich und salutieren dem von blechscheppernder Militärmusik begleiteten Einzug ihrer uniformbewehrten, den Säbel steil emporreckenden Abordnungen. Die Fahnen immer voran, mit fester Stimme werden eine Viertel Stunde lang germanische Namen aufgerufen: „Braunschweig: Arminia Gothia... Germania... Thuringia... Darmstadt: Rheno-Markomannia...“ Nun nehmen die Rituale ihren Lauf, Begrüßung der Gäste (vom Bund Chilenischer Burschenschaftler bis zum Ex-General Kiesling), Festrede und das lauthals geschmetterte deutsch-patriotische Liedgut. Der Dielenboden des Saals vibriert, wenn die fast 2.000 Männerkehlen „Stoßt an! Vaterland lebe! Hurra, hoch!“ anstimmen.
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