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Entspannt, aber knallhart in der Sache

■ Die USA verfolgen in Sachen START, VKSE und bei den Handelsbeziehungen ihre alte Machtpolitik

Michail Gorbatschow erkämpfte bei seinem jüngsten Auswärtsspiel in Washington ein achtbares Unentschieden. Gekommen war er, wollte man der amerikanischen Medienindustrie glauben, als von einheimischen „troubles“ Geschwächter, als ein Führer, dessen Zukunft bei leeren Geschäftsauslagen, säbelrasselnden Militärs, abspaltungswilligen Republiken und an Macht zugewinnenden politischen Rivalen mehr als fragwürdig war. Doch als er am Sonntag nachmittag hinter dem Weißen Haus in den Hubschrauber stieg, um nach Minneapolis weiterzufliegen, da hatte er bereits die Hochachtung des amerikanischen Publikums gewonnen. Einen so selbstbewußten Auftritt hatte von Michail Gorbatschow in den USA niemand erwartet. Und wenn Gorbis Fünftagestrip durch Amerika zu Ende ist, wird es weniger US-Bürger geben, die immer noch daran glauben, daß Kommunisten Kinder fressen.

Was nicht heißt, daß die Bush-Administration nicht auch weiterhin Erfolg damit haben dürfte, die Sowjetunion für sämtliche Hindernisse im Entspannungsprozeß verantwortlich zu machen. Wenn dieser Gipfel eines deutlich zeigte, dann die entideologisierte Strategie der Bush-Administration gegenüber der Sowjetunion: entspannt auf der symbolischen Politikebene, aber knallhart in der Sache. Die USA haben sich nach diesem Gipfeltreffen eindeutig hinter Gorbatschows Versuch einer totalen Umkrempelung der Sowjetunion gestellt, verfolgen aber gleichzeitig ihre alte Machtpolitik. Dies gilt für die Verhandlungen bei START- oder den Wiener VKSE -Verhandlungen ebenso wie in den Handelsbeziehungen oder der Frage der deutschen Vollmitgliedschaft in der Nato. Im letzteren Fall wird Europa dafür den Preis zahlen müssen.

Bereits am ersten Gipfeltag war deutlich geworden, daß die Position beider Supermächte zur deutschen Frage hier in Washington nicht einander angeglichen werden konnte. Rasch hatten Gorbatschows Äußerungen über die Rolle Gesamtdeutschlands in Europa die Hoffnung der Bush -Administration zerstört, der Sowjetunion auch noch eine deutsche Nato-Vollmitgliedschaft aufdrücken zu können. So wurde dieser strittige Punkt diplomatisch auf die lange Bank geschoben und den Außenministern zur weiteren Diskussion zugeschoben; wohl wissend, daß sich hinter dem Streit um die deutsche Nato-Mitgliedschaft mehr als Meinungsverschiedenheiten über die zukünftige Anständigkeit der Teutonen verstecken.

Es war in der abschließenden Pressekonferenz am Sonntag morgen im Ostflügel des Weißen Hauses, wo diese unterschiedlichen Visionen Europas in der deutschen Frage aufeinanderprallten: „Deutschland soll Vollmitglied der Nato sein“, so George Bush, für den die Nato die einzig vorstellbare Versicherung, nicht mehr gegen den Feind im Osten, sondern gegen Instabilität und Unvorhersagbarkeit darstellt. Für Gorbatschow bleibt diese Lösung eben ausgeschlossen. Wie eine Lösung auch immer aussehen werde, so gab er zurück, müsse die „Option für Deutschland in das neue gesamteuropäische Sicherheitskonzept passen. Während die Bush-Administration weiter Rüstungskontroll -Verhandlungen und die Diskussion über die politische Neuordnung Europas zeitlich wie räumlich aufzuspalten versucht - Deutschland heute, Abrüstungsverhandlungen in Wien und Genf morgen und Europa noch später - bestand Gorbatschow auf der „Synchronisation dieser Prozesse“ und ihrer gemeinsamen Erörterung bei den 2 + 4-Verhandlungen.

„Moralisches Recht“

Auf die Frage eines Journalisten, ob sich seine „sture Haltung in Sachen deutscher Nato-Vollmitgliedschaft nicht allein aus der Vermeidung einer „Erniedrigung vor dem sowjetischen Publikum“ erkläre, parierte Gorbatschow mit einer philosophisch-moralischen Antwort, gefolgt von einer unverhüllten Drohung: Eine für die Sowjetunion zufriedenstellende Lösung der deutschen Frage sei keine Frage des „Stolzes“, sondern nach den 27 Millionen Toten und 18 Millionen Verletzten der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg „eine Sache höchster Gerechtigkeit“. „Wir haben das moralische Recht, darauf zu bestehen, daß diese Opfer nicht zu weiteren Unwägbarkeiten führen.“ Sollte die Lösung der deutschen Frage für die Sowjetunion negativ ausgehen, „dann sähen wir uns dazu gezwungen, unseren Standpunkt bei den Truppenreduzierungen und Abrüstungsverhandlungen zu überdenken“.

Dies war nicht die einzige Bemerkung Gorbatschows, die in den USA als Drohung aufgefaßt wurde. Während die Diskussionen regionaler Krisenherde von Angola über Afghanistan bis Kambodscha eine Annäherung der Standpunkte brachte, drohen die Ereignisse im Nahen Osten die sowjetisch -amerikanischen Beziehungen erneut zu belasten. Angesichts der israelischen Politik, die aus der Sowjetunion auswandernden Juden unter anderem in den seit 1967 eroberten Gebieten anzusiedeln, sehe sich die Sowjetunion einem „Bombardement arabischer Kritik ausgesetzt“. Entweder, so Gorbatschow auf der abschließenden Pressekonferenz, nehme Israel diese Kritik ernst oder die Sowjetunion müsse auch hier ihre Position überdenken und notfalls „die Bewilligung von Ausreisegesuchen verzögern“.

Hätten solche offen ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten zwischen Moskau und Washington vor wenigen Jahren noch zu einer Blockierung des gegenseitigen Austausches geführt, so scheinen die neuen pragmatischen Zeiten die Gleichzeitigkeit von Konflikt und Kooperation zu ermöglichen. Nicht einmal die in den USA heftig kritisierte Politik Gorbatschows gegenüber Litauen und den anderen Baltenrepubliken konnte auf diesem Gipfel die Unterzeichnung verschiedener Handelsvereinbarungen verhindern. Der US-Ölkonzern Chevron wird sich demnächst an der Ausbeutung des größten sowjetischen Ölfeldes beteiligen; IBM staffiert demnächst 13.000 sowjetische Schulklassen mit Computer aus; und auch das beinahe gescheiterte Getreideabkommen mit einer fünfjährigen Laufzeit wurde am Ende doch noch unterzeichnet. Die Zuleitung des ebenfalls unterzeichneten Handelsabkommens sowie die Gewährung der „Meistbegünstigungsklausel“ hängt jedoch weiterhin von der Ratifizierung des jüdischen Auswanderungsgesetzes durch das sowjetische Parlament und der Zustimmung durch beide Häuser des US-Kongresses ab.

So war es am Ende ein Gipfel mit viel Atmosphäre und wenig Substanz; ein Gipfel, der die Möglichkeiten zukünftiger Kooperation aufzeigte, aber gleichzeitig die Unvereinbarkeit der rivalisierenden Vorstellungen über das neue Europa verdeutlichte. Im Streit um die deutsche Nato-Mitgliedschaft wurde deutlich, daß der Westen und insbesondere die USA den Herausforderungen der neuen Zeit nach dem Kalten Krieg auch weiterhin mit den Instrumenten und Institutionen von gestern zu bewältigen sucht.

Rolf Paasch, Washington

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