piwik no script img

Stones und Blauhemd

■ Vor zwanzigeinhalb Jahren kamen die Ostler umsonst / Dafür schlugen die Gummiknüppel den Takt

„Na, nach dem 11. Plenum wird sich das hoffentlich auch bald ändern!“ Der Umstand, der die Lehrerin Busseso sehr in Erregung versetzt hatte, war, daß da doch tatsächlich drei „Gammler“ mit ihrer Kofferheule vor dem Schulhaus standen und aus den Lautsprechern die Musik der - Rolling Stones plärren ließen. O.K., damals stolzer Schüler der dritten Klasse, wußte den Ausbruch seiner Klassenleiterin nur teilweise zu deuten. Das 11. Plenum“ war ihm kein Begriff daß aber „Beat-Musik“ etwas Verbotenes war, das hatte man ihm schon beigebracht. Doch verbotene Dinge sind bekanntlich die köstlichsten, und bald schon malte auch er mit aus der Schule geklauter Kreide die Worte The Beatles und The Rolling Stones an die Häuserwände.

Drei Jahre später wurde der erste sozialistische Staat deutscher Nation zwanzig Jahre alt. Aus diesem Anlaß wurde ein großes Fest auf die Beine gestellt: das Treffen junger Sozialisten. O.K. war gerade vierzehn geworden und somit stolzer Träger eines blauen FDJ-Hemdes.

Mitten im Fest ging das Gerücht um, die Rolling Stones gäben auf dem Dach des Springerhochhauses ein Konzert. Schon zogen Gruppen von langhaarigen Affen an den feiernden FDJlern vorbei - ausgepfiffen und mit Schimpfworten bedacht, für die man zu Hause wohl ein paar hinter die Ohren bekommen hätte. Hier aber war es etwas anderes: den antisozialistischen Elementen mußte eine entschiedene Abfuhr erteilt werden.

O.K. schwankte. Einesteils wollte er natürlich kein antisozialistisches Element sein, andererseits - wenn nun die Rolling Stones tatsächlich... Nach langem inneren Zaudern schloß er einen Kompromiß. Zwar würde er ebenfalls zur Mauer fahren - das FDJ-Hemd aber behält er an!

Als O.K. aus dem U-Bahnhof Spittelmarkt stieg, empfing ihn nicht der Sound von Mick Jagger, nein, Polizeisirenen, Pfiffe und Schreie hallten über den Platz. Denn nicht nur die Gammler hatten das Stones-Gerücht vernommen, auch die Volkspolizei mußte davon gehört haben. Und die trommelte nicht auf teure Trommelfelle, sondern auf die Leiber der Anwesenden. Schnell machte O.K. wieder kehrt, stürzte in die U-Bahn zurück - und nur sein Blauhemd bewahrte ihn davor, gleich anderen Geflüchteten auf der nächsten Station aus der Bahn gezerrt zu werden.

Olaf Kampmann

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen